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Lebenslauf von Ingenieur und Unternehmer Ernst Rein, * 21.11.1858 in Chemnitz, + 25.9.1953 in Bielefeld: Ich träum`als Kind mich zurücke und schüttle mein graues Haupt. Wie sucht ihr mich heim ihr Bilder, die längst ichvergessen geglaubt. Chamisso Familie Rein: Unser Großvater August Rein kam als Handwerksbursche auf seiner Wanderschaft nach Chemnitz und erhielt Arbeit als Bäckergeselle bei dem Bäckermeister Wagner in der äußeren Klosterstraße. Er heiratete die Tochter seiner Meistersleute und machte sich selbständig als Bäckermeister in guter Lage auf dem Roßmarkt zu Chemnitz. Durch drei Generationen wurde dort der Bäckereibetrieb mit bestem Erfolg fortgesetzt, bis Feindbomben alles zerstörten. Unser Großvater stammt aus einer Fischerfamilie, die in Nied bei Höchst a.M. altansässig war und in guten Verhältnissen lebte. Mit dieser Familie bestanden fortlaufend gute Beziehungen durch Briefwechsel und Besuche, die sich aber erst in späterer Zeit auswirken konnten. Der Ehe der Rein Großeltern entsprossen fünf Söhne und zwei Töchter: Karl lernte als Gürtler Eduard „ „ Buchbinder Ernst „ „ Glaser Robert „ „ Weber Otto „ „ Bäcker. Die beiden Töchter heirateten auch und zwar jede einen Uhlmann: Die Ältere einen Sattler, die Jüngere (Emilie) einen Seiler. Die Söhne gingen dem Handwerksgebrauch entsprechend in die Fremde – auf Wanderschaft – und kehrten dann in die Heimat zurück. Nur der Glaser machte eine Ausnahme, indem er sich in Glauchau bei Chemnitz selbständig machte und dort heiratete. Er hatte dort ein blühendes Geschäft, das nach seinem Tod seinem jüngsten Sohn zufiel. Der Ältere studierte [Philologie] und war Professor am Chemnitzer Gymnasium. Die vier übrigen Rein-Brüder gründeten in Chemnitz eigene Geschäfte und erwarben durch Fleiß und Umsicht sichere Grundlagen für die Existenz ihrer Familien. Am Fleiß fehlte es bei keinem, aber der Erfolg war doch nicht gleichmäßig. Meine Eltern haben sich infolge der Nöte im Webereibetrieb –entstanden durch die Einführung der mechanischen Webstühle – in erheblichen Schwierigkeiten befunden und konnten sich nur langsam empor arbeiten. Die Hauptsache blieb aber ihr guter Zusammenhalt in derFamilie, die gegenseitige Unterstützung, gegründet auf herzlichen Familiensinn mit der Bereitwilligkeit, den Schwächeren zu helfen und ihn zu stützen. So hat sich die Familie Rein in Chemnitz einen guten Ruf erworben, der auch für den Bielefelder Zweig vorbildlich sein sollte. (Wie schön ist es doch, wenn man seinem Nächsten eine Freude bereiten kann). Das sagten auch die Gebrüder Rein als sie beschlossen, am 21. November 1858 ihren Bruder Ernst in Glauchau zu besuchen. Der 21. November war ein Sonntag und an diesem Tage sollte die Einweihung der Eisenbahnstrecke Dresden – Chemnitz – Reichenbach durch den ersten Zug auf dieser Linie stattfinden. Das war eine gute Gelegenheit den Glauchauer Bruder gemeinsam zu besuchen, denn Glauchau war Station auf dieser Strecke. Gesagt – beschlossen und getan!Ein Freudentag in Glauchau, dem ein Freudenabend in Chemnitz folgte, denn in der Zwischenzeit hatte der Storch der lieben Rein Mutter ein Jüngelchen beschert und das war ich. Bevor wir uns mit ihm befassen, muß aber Manches nachgeholt werden. Vater Robert Rein war nach Vollendung seiner Lehrzeit als Weber in Chemnitz dem Gebrauch gemäß auch in die Fremde gegangen. Hatte sich nach Norden bis an die Nordsee durchgearbeitet und auch in Bremen etwas Halt gemacht. Dann war er rückwärts bis in die Heimat gepilgert. In der Nähe von Chemnitz, in dem herrlich gelegenen Städtchen Waldenburg an der Mulde, fasste er Wurzel in einer sehr schlimmen Zeit, die durch die Einführung der mechanischen Webstühle entstanden war. Bittere Not brach aus in diesem Kampf zwischen Hand- und Maschinenweberei. In diesem Kampf konnte der Handwebstuhl nicht Sieger bleiben. Aber in einem anderen Kampf konnte Robert Rein den Sieg erringen, den Sieg um seine geliebte Henriette, sprich Jettel, Tochter des Kunstschlossermeisters Siewerdt in Waldenburg. Nach der Hochzeit verlegte das junge Paar den Wohnsitz nach Chemnitz, wo ihnen im elterlichen Haus am Roßmarkt eine Wohnung eingerichtet wurde. Hier kam ich an jenem 21. November zur Welt unter Verhältnissen, die durchaus nicht als glänzend bezeichnet werden konnten. Nach einiger Zeit bot sich in der Klosterstraße Gelegenheit zur Errichtung eines Geschäftsladens für Modewaren und gleichzeitig die Möglichkeit, einen Webstuhl aufzustellen. Zur Vergrößerung des Absatzes wurde auf dem Wochenmarkt eineVerkaufsbude gemietet, die von den Vermietern an Sonnabenden aufgestellt wurde. Der Verkauf auf dem Wochenmarkt war für die Eltern eine recht mühselige Arbeit, besonders im Winter bei Schnee und Eis. Es war für die Eltern eine schwere Zeit. Im Sommer dagegen gab es besondere Freuden durch Besuchsfahrten zu den Großeltern in Waldenburg, wo in der Werkstatt so viel zusehen war. Nach einer kleinen Episode vermag ich mich zu erinnern, als ich mit dem Großvater durch die Werkstatt ging. Er setzte mich auf den hin und herlaufenden Tisch, eine kleine Hobelmaschine, was mir sehr gefiel und er sagte dann:"Ja Ernstchen, wenn Du groß bist, dann baust Du auch Hobelmaschinen!“ Und wenn mich Jemand später fragte, was willst Du denn einmal werden, dann sagte ich Hobelmaschinenbauer! Der Waldenburger Großvater war ein ganz ausgezeichneter Fachmann. Er betreute die Kassenschränke der großen Schönburgischen Besitztümer und fertigte Kunstschlosserarbeiten jeder Art. Nach seinem Tod führten seine Söhne Ernst und Adolf die Werkstatt weiter, doch gelang es ihnen nicht, sie auf der alten Höhe zu erhalten. Der jüngere Bruder Adolf hatte in Chemnitz die Werkmeisterschule besucht und fand eine Stelle als Techniker in Chemnitz. Der ältere Bruder Ernst zog mit seiner jungen Frau nach Meerane, wo er eine Bauschlosserei einrichtete. Zu ihm kam ich nach meiner Entlassung aus der Schule in die Lehre als Schlosser. Daß Lehrjahre keine Herrenjahre sind, habe ich in Meerane reichlich empfunden. Ich möchte aber meine Schulzeit nicht überspringen. Sie ist wegweisend für mein ganzes Leben gewesen, weil sie unter der Führung eines hervorragenden Pädagogen gestanden hat, des Lehrers Gesell. Die 8 Schuljahre verteilten sich in Chemnitz auf 6 Klassen, so daß es auch bei zweimalicher Absolvierung einer Klasse möglich war, das Endziel zu erreichen. Wer stets aufrückte, konnte die beiden oberen Klassen wiederholen, was eine festere Beherrschung des Lehrstoffes im Endziel bedeutete. Nun fügte es sich, dass unser Klassenlehrer Gesell mit uns aus der 5. Klasse in die 6. Klasse aufrückte, so daß wir 4 Jahre Unterricht bei dem anerkannten vorzüglichsten Pädagogen der Chemnitzer Schulen erhielten. Im letzten Schuljahr erhielt ich gemeinsam mit drei Schulkameraden Privatunterricht im Englischen und außerdem in Stenografie. So verließ ich mit 14 Jahren die mittlere Bürgerschule zu Chemnitz und kam als Lehrling in die Schlosserwerkstatt meines Onkels Siewerdt in Meerane. Es entstand im elterlichen Haushalt zwar eine Lücke, die aber durch meinen 7 Jahre jüngeren Bruder Emil ausgefüllt wurde. Meine Schlosserlehrzeit betrug 3 Jahre und umfasste alle Arbeiten am Schmiedefeuer, am Schraubstock, an der Bohrmaschine und an der Drehbank. Als Gesellenstück stellte ich einen Eisenkasten mit Kunstschloß her, der sich jetzt im Besitz meiner Tochter Gertrud befindet und als Aktenschränkchen benutzt wird. Zur bleibenden Erinnerung an meine Lehrzeit wurde mir der Zeigefinger meiner linken Hand im Getriebe einer Bohrmaschine verstümmelt. Ein Mitlehrling gab mir während ich bohrte einen Freundschaftsstoß, so daß ich mich umdrehte. Dabei kam ich mit der linken Hand an das Getriebe und so zwischen die Zahnräder. Das Schwungrad gab genügend Kraft her, um den vorderen Fingerknochen zu zerbrechen. Ein Glück, dass die Maschine keinen mechanischen sondern nur Fußbetrieb hatte. Der Unfall verursachte eine 14tägige Behandlung im Krankenhaus zu Meerane. Als Ausgleich zu diesem Schmerzen möchte ich aber Erinnerungen an frühere Jugendfreuden anfügen, die bei dem Bericht über meine Schulzeitvergessen wurden. Das waren die Ferienwochen bei unserer Großmutter Siewerdt in dem Haus, wo der Großvater früher seine Werkstatt hatte. Großmutter hatte eine hübsche kleine Wohnung im ersten Stock und einen großen Garten mit viel Stachelbeeren, grüne und rote. Die Chemnitzer Schulferien fielen in die Zeit der Reife der grünen Stachelbeeren, an denen wir – ich und mein kleiner Bruder - nach Herzenslust gütlich taten. Die roten Beeren reiften dagegen etwas später und wurden für die Kinder der Meeraner Familie reserviert, was uns aber nicht von Übergriffen abhielt. Da gab es zuweilen ein Donnerwetter von der Großmutter, die von ihrem Fenster oben kontrollierte, denn die Meeraner sollten bei ihren später liegenden Ferien nicht zu kurz kommen. Im Übrigen waren die Ferienwochen bei Großmutter eine köstliche Zeit. Wir konnten auf dem Feld das Korn mit ernten helfen. Wir konnten in der herrlichen Umgegend, in dem großartigen fürstlichen Schlosspark lange Spaziergänge unternehmen, wir konnten in der dicht am Hause vorbei fließenden Mulde baden und mit Großmutter einige befreundete Familien besuchen und auch zur Abwechselung tüchtig Kirschen schmausen, die dort an den Landstraßen in langen Alleen standen und feilgeboten wurden. Es waren köstliche Ferienwochen! Nach Beendigung meiner Lehrzeit kam ich nach Chemnitz zurück, um die dortige Werkmeisterschule für Maschinenbau zu besuchen und der praktischen Ausbildung eine bescheidene aber zweckmäßige Ergänzung zugeben. Ich habe in zwei Jahren eine für praktische Verwendung ausreichende Ausbildung erreicht und mit sehr guten Zeugnissen die Schule verlassen. Meine Aussichten für die Zukunft waren nicht ungünstig. Mein Onkel Siewerdt, der Bruder meiner Mutter, hatte nach Beendigung seiner Lehrzeit als Schlosser in der väterlichen Werkstatt die Chemnitzer Maschinenbauschule besucht. Erhatte, wie ich annehme, für kurze Zeit eine Stelle als Techniker in einer Chemnitzer Fabrik gehabt und war dann – ich weiß nicht, ob ehelig gebunden oder nicht – nach Waldenburg zurückgekehrt und in das elterliche Unternehmen eingetreten. Nach dem Tod des Großvaters Siewerdt kam es anscheinend zu Unstimmigkeiten, die zum Zusammenbruch des Unternehmens führten und zugleich zum Bruch zwischen den Brüdern. Onkel Adolf zog mit seiner Frau und Kind nach Chemnitz, wo sich eine Anstellung als Techniker bot. Ich glaube bei dem Werk Zimmermann. Es ist mir noch erinnerlich, dass ich mit der kleinen Cousine Anna damals gespielt habe. Es bot sich dann meinem Onkel Adolf eine Anstellung als Konstrukteur bei Bell in Grienz bei Luzern in der Schweiz, die er später mit einer besseren Stellung in der bedeutenden Maschinenfabrik Gebrüder Sulzer in Winterthur vertauschte. Dies war das Sprungbrett zur Selbständigkeit. Mit einem Herrn Daverio gründet er in Rorschach am Bodensee eine kleine Fabrik, die sich sehr günstig entwickelte und zum weiteren Ausbau drängte. In Rorschach war das wegen der ungünstigen Lage zu den im Inneren der Schweiz liegenden Produktionsstätten nicht zweckmäßig. Man konnte in der Nähe von Zürich einstill gelegtes Werk erwerben und zur finanziellen Stütze wurde ein dritterTeilnehmer (Kisker) in Firma genommen, die nun Daverio, Siewerdt und Kisker lautete. Bald darauf wurde sie Aktiengesellschaft und Onkel Siewerdt alleiniger techischer Direktor.
Dieser gute etwas raue Onkel hatte meinen Eltern versprochen, mich, wenn ich soweit wäre, in die Fabrik aufzunehmen und so folgte ich freudig dieser Einladung. Denn es war damals eine starke industrielle Notlage. Ich war der Einzige der von der Schule abgehenden, der eine Stelle erhielt. Bei der Musterung zum Militärdienst war ich wegen Mindermaß ein Jahr zurück gestellt worden, so daß keine Schwierigkeit bestand, ins Ausland zu gehen. Meine lieben Eltern statteten mich für die Fremde gut aus und ließen mich mit viel guten Ermahnungen ziehen. Die Fahrt ging zunächst bis Regensburg, wo ich im Hotel „weisser Hahn“ logierte. Am nächsten Morgen machte ich einen Ausflug nach der Ruhmeshalle Walhalla, deren Denkmalen von Geistesgrößen unseres Landes und wenn ich nicht irre, auch des Auslandes, soweit hier ein Interesse vorliegt. Es war ein köstlicher Tag mit schönem Wetter und guter Aussicht auf das werte Land und den glänzenden Donaulauf. Dann fuhr ich nach München, wo ich in dem mir vom Lehrer des Baugewerkes der Chemnitzer Schule empfohlenen Hotel Oberbollinger ein gutes Zimmer erhielt, und auch allerlei Empfehlungen von Münchener Sehenswürdigkeiten. Natürlich besuchte ich neben Gemäldegalerien, Denkmälern und Bauwerken auch volkstümliche Kneipen. Einmal setzte sich ein alter Bayer zu mir und frug mich unter Anderem, wo ich denn her wäre. Ich sagte ihm ich sei Sachse, worauf er versicherte, daß er sich darüber freue. Denn wenn ich ein Preuße wäre, würde er sofort weggegangen sein. Auch das große Standbild der Bavaria bestaunte ich von Außen und Innen. Von den Gucklöchern im Kopf konnte man die südbayrische Gebirgskette bewundern. Und dann ging es fort, zunächst bis Lindau am Bodensee, wo ich nochmals Quartier machte in einem Hotel am Hafen. Am nächsten Morgen 6 Uhr früh ging die Reise per Dampfer über den See nach Romanshorn, dem Schweizer Hafenstädtchen. Es war eine herrliche Fahrt. Der Eisenbahnzug brachte mich dann über Winterthur nach Oerlikon, dem Ziel meiner langen schönen Reise. Ich wurde in der Familie herzlich aufgenommen und damit begann der Lebensweg des jungen Burschen in der Fremde. Im Laufe der Jahre hatte sich auch die Familie von Onkel Siewerdt vergrößert. Zur Ältesten Anna war Mina, ein kräftiges munteres Mädchen,und das Söhnchen Gustav, ein etwas lockerer Zeisig gekommen, der in derSchule allerlei Schwierigkeiten hatte, wie ich allmählich erfuhr. Hier war nun meine neue Heimat. Ich erhielt eine Stelle auf dem technischen Büro als Zeichner unter Führung meines genialen Onkels, der sich mit Recht eines ganz besonders hohen Rufes als Maschinenkonstrukteur erfreute. Neben dem Hauptzweig, dem Werkzeugmaschinenbau war eine Abteilung für den Bau von Porzellan-Walzenstühlen für Getreidemühlen (System Wegmann) angegliedert worden, die für meine weitere Entwicklung von verständlichem Einfluß wurde, denn sie bildete das Sprungbrett für mich nach den Vereinigten Staaten. Unter der Leitung meines Onkels konnte ich gute Fortschritte im Entwerfen und Ausarbeiten von Neukonstruktionen machen und so auch die Zufriedenheit meines Onkels erwerben. Auch sonst hatte ich allerlei Gelegenheit zu geistiger Anregung. Die Nähe von Zürich gab mir die Möglichkeit, Mitglied des Dramatischen Vereins Zürich zu werden, wo ich mich mancher geistiger Genüsse erfreuen konnte. Besonders ist mir dabei eine Begegnung mit dem deutschen Freiheitskönig Herr Professor Kinkel (Gottfried), dem Dichter des bekannten Trauerspiels Nimrod und anderer Glanzstücke gut in Erinnerung geblieben. Auch in der Familie des Onkels gab es allerlei Genüsse. Die älteste Tochter war eine ausgezeichnete Klavierkünstlerin, die uns hohe Genüsse bot. Dabei muß ich aber bemerken, dass ich selbst kein Sachverständiger auf musikalischem Gebiet bin. Mit der zweiten Tochter Mina gab es manche lustige Episode. Einmal hatten die Schülerinnen von Ihrem Lehrer – er hieß Meili – die Aufgabe bekommen ein Gedicht zu ersinnen. Das war natürlich nicht leicht und da musste der Vetter Ernst helfen. Das war aber auch für mich schwer, doch erinnerte ich mich eines kleinen Gedichtes aus einem Weihnachtsbilderbuch vom Riesen. Der Anfang war: Es war einmal ein Riese, der hatte ein großes Maul, die Zähne waren Spieße, war stärker als 10 Gaul usw. Das wurde als Erzeugnis von Mina genommen und schlug glänzend durch. Aber nicht auf die Dauer. Andere fanden den Schwindel heraus, aber die Sache hatte viel Spaß gemacht. Mit den beiden Cousinen hat manches frohe Ereignis bis ins hohe Alter gewirkt, was auch heute noch in dem Briefwechsel mit der in Zürich lebenden Schwester Mina fortwirkt. Sie lebt noch als Witwe und Mutter einer zahlreichen Familie und gütigen Großmutter in Zürich. Sie hat sich in der schweren Nachkriegszeit und in der großen Not, die durch die Zerstörung meiner Fabrik und meines Wohnhauses über uns kam, durch Liebesgaben als gütige Helferin in großer Not gezeigt und uns so helfend zur Seite gestanden. Ich bin ihr zugroßem Dank verpflichtet. In Oerlikon bekam ich von der deutschen Wehrmacht eine Aufforderung zur zweiten Musterung für das deutsche Militär, die in Konstanz stattfand. Auch diese verlief für mich wegen Mindermaß so günstig, dass ich ganz freigestellt wurde, ein großer Vorteil für meinen Werdegang, denn nun waren alle Schranken für meine Zukunft gefallen. Ich erweiterte meine Sprachkenntnisse im Englischen und Französischen, versäumte aber nicht mich in der schönen Schweiz etwas umzusehen. Ich unternahm kleine Ausflüge in die Berge um den Zürichsee und darüber hinaus zum Walensee, zur Tanninaschlucht bei Ragatz-Pfeffers. Auch Kloster Einsiedeln in der Nähe des Zürichsees wurde besucht. Eine große Freude bereitete mir der Besuch meines Vaters, mit dem ich eine größere Tour unternehmen konnte. Sie führte uns über Bern nach dem Thunersee und Interlaken, und über Brünigpass zu Fußnach dem Vierwaldstätter See, den Rigi und nach Luzern. Es war eine ganz köstliche Reise, die mir immer frisch im Gedächtnis geblieben ist. Die Hochzeit eines Abteilungsleiters in Oerlikon, der in seiner Vaterstadt Waldenburg, der Heimat meiner Mutter und meines Onkels Adolf, heiraten wollte, verschaffte mir die Möglichkeit, an diese rHochzeit teilzunehmen und die Eltern zu besuchen – eine große Freude! In Oerlikon war ich langsam aber sicher voran gekommen und beschäftigte mich mit Zukunftsplänen. Dabei erschien mir der Walzenstuhlbau als Sprungbrett, weil dieser durch Lieferung von Porzellanwalzen eine stetige Verbindung mit einem großen Werk in Milwaukee unterhielt. Es war dies die Firma Edward F. Allis, die außerPorzellanwalzenstühle für die Feinmüllerei auch Dampfmaschinen und Sägemühlen baute. Von diesem Arbeitsprogramm ausgehend war ich der Meinung, daß man für mich dort vielleicht Verwendung haben könnte, und so habe ich mich um eine Stelle als Maschinenkonstrukteur beworben. Da ich in Oerlikon schon 3 Jahre tätig war, erschien mir der Wechsel auch zweckmäßig. Ich bekam von Allis keine Ablehnung sondern nur die Anfrage nach meinen Ansprüchen. Inzwischen hatte ich mich auch bei der Fa. Schiess in Düsseldorf um eine Anstellung beworben und eine Zusage erhalten, als die Amerikaner mir schrieben, ich möchte kommen. Ich hatte Allis auf ihre Anfrage nach meinen Gehaltsansprüchen geschrieben, daß ich nur verlangte, was sie für gleiche Leistungen in der Regel bezahlten. So hatte ich nun zwei Möglichkeiten Düsseldorf oder Milwaukee. Meine Wahl fiel auf Milwaukee. Vorausgesetzt natürlich, dass die Unkosten der Reise mit elterlicher Unterstützung bestritten würden. Und das geschah durch einen Zuschuß vom 300 Mark. Das übrige wurde durch meine Ersparnisse gedeckt und soweit notwendig, in Dollar umgewechselt. Eine Reise nach Nordamerika war damals keine kostspielige Angelegenheit, wenn man auf dem Dampfer im Zwischendeck fuhr. Ich konnte bei einer Baseler Schifffahrtsagentur für ca. 140 Schweizer Fr. die ganze Reise von Basel über Paris – Havre bis New York einschließlich voller Beköstigung und Getränke (täglich ½ Flasche Landwein und ein Gläschen Branntwein) bezahlen. So ging die Reise fort mit vielen guten Wünschen der Familie Siewerdt und den Freunden im Beruf und in der Gesellschaft begleitet nach dem fernen Land. Zunächst war Paris das erste Reiseziel, wo ich zwei Tage blieb und allerlei Sehenswürdigkeiten bewundern konnte. Dann ging es mit einem Emigrantenzug – Passagiere des Dampfers „Amerika“ nach der Hafenstadt Havre. Es war ein schönes sauberes Schiff der Compagnie General Transatlantik. Das Zwischendeck – die 3. Klasse machte einen ganz guten Eindruck und ließ uns bald heimisch fühlen, weil die Passagiere alle aus dem guten Schweizer und Süddeutschen Mittelstand kamen. Das polnische Element, welches hauptsächlich von den Dampfern der deutschen Reedereien befördert wurde, fehlte hier gänzlich. So war man hier in schlichtbürgerlicher Gesellschaft, in der man sich schnell heimisch fühlte. Durch allerlei Spiele und Turnübungen verkürzte man sich die Zeit und hatte allerlei Gelegenheit, die Reize der Seefahrt zu genießen. Seekrank bin ich nicht geworden. Zuerst kamen wir in die Nähe der englischen Küste, deren Kreidefelsen steil aus dem Meere auftauchten, dann ging es hinaus in die offene See, immer bei gutem Wetter. Wir sehen allerlei Fische die mit breitem Rücken auftauchten, Delphine und auch Vögel, sogar ganz kleine, die von Welle zu Welle schwebten. Dann kam eine dicke Nebelbank in die wir hinein fuhren und in der wir einige Tage eingeschlossen blieben. Das ist aber keine Annehmlichkeit, fortgesetzt ertönt das Nebelhorn als Warnung die von Schiffen, die in der Nähe fahren in gleicher Weise beantwortet wird. Der Ton ist so furchtbar, daß man kaum schlafen kann. Aber auch das hatte ein Ende. Am ersten Pfingstfeiertag war der Nebel verschwunden und es blieb gutes Wetter bis zur Einfahrt in den Hafen von New York. Das erste war eine Meldung bei der Einwanderungsbehörde am Hafen. Dort fragte man mich wohin ich reisen wollte. Natürlich Milwaukee und da verkaufte man mir gleich eine Fahrkarte dahin. Zunächst ging ich mit einigen Reisegefährten nach einem ihnen bekannten kleinen aber guten Hotel in New York. Dann war meine nächste Aufgabe, die Grüße der Familie Rein an die Verwandten Dr. Rein zu bestellen. Er sollte in [Uniontown] im Staate New Jersey wohnen. Es gab aber mehrere im Staate NewJersey in der Nähe von New York und so machte ich einige Versuche die aber fehlschlugen. Ich kam dabei in einige ländliche Bezirke und entdeckte einmal an der Landstraße im Straßengraben eine Menge von Schildkröten, die wie bei uns die Frösche herumkrabbelten. Ich nahm mir einige heraus und legte sie auf den Rücken, um sie bei der Rückkehr mitnehmen zu können. Im Nu waren sie aber wieder auf den Beinen. Es war also nichts und ebenso hatte ich auch keinen Erfolg mit der Suche nach dem Doktor. So machte ich denn am anderen Tag mich reisefertig nach dem Westen, besorgte mein Gepäck und am Abend ging die Reise über 1000 englische Meilen los. Die erste Unterbrechung war Chicago, wo ich von der Schweiz Grüße zu bestellen hatte. Unterwegs konnte ich mir in Pitsburg die ersten Bananen kaufen. Am Abend des zweiten Reisetages kam ich in Milwaukee an und bekam in der Nähe des Bahnhofes in einem sehr verwahrlosten Hotel oder Herberge ein bescheidenes Zimmerchen. Dieser Anfang war nicht sehr erhebend. Mein erster Gang an diesem Abend war nach der Fabrik Allis, die nicht weit entfernt war. Hier lebte meine sehr gedrückte Stimmung aber wieder auf.Ich konnte einen Blick in die Nachtschicht-arbeitenden Hallen tun und so meine gedrückte Stimmung wieder auffrischen. Am nächsten Morgen stellte ich mich in der Fabrik vor, wurde freundlich empfangen und der Obhut eines jungen deutschen Ingenieurs –Birkholz –übergeben. Der sorgte zunächst für gutes Unterkommen in einem guten Hotel mit vollerPension. Sehr wichtig war dabei, daß ich auf Grund meines Besitzes an Kleidern und Büchern einen Monat vollen Kredit für Wohnung und Verpflegung hatte, denn meine Finanzen waren auf dem Nullpunkt angekommen. Das technische Büro war mit ca.12 Herren besetzt aus allen Ländern. Einige Amerikaner, die anderen aus Deutschland, Schweiz und Finnland, Schweden und Norwegen. Die wichtigste Abteilung war der Bau von Cortis-Dampfmaschinen unter derFührung von Mr. Reynolds. Eine weitere Abteilung war der Mühlenbau unter der Führung von Mr. Gray und dem deutschen Birkholz und eine dritte Abteilung für Sägemühlen, die auch einen Spezialisten als Chef hatte. Es war ein sehr interessanter Betrieb in dem es keine Langeweile gab. Ich konnte mich schnell einarbeiten und mir im Büro gute Freunde schaffen. Insbesondere auch den ersten Konstrukteur für Cortis-Dampfmaschinen –Nordberg – ein Finnländer, mit dem ich später zusammenwohnte. Milwaukee ist eine wunderschöne Stadt am Michigansee herrlich gelegen. Mit breiten Straßen und schönen Häusern, reger Verkehr und vorwiegend deutschen oder deutschstämmigen Einwohnern. Besonders stark ist hier die Bierbrauerei vertreten und auch die Müllerei mit sehr leistungsfähigen Betrieben. Als Hafenstadt hat sie einen lebhaften Schiffsverkehr nach Chicago südlich, östlich nach Grand Rapids im Staate Michigan und nördlich nach dem Gebiet der Kupfergruben und den anschließenden Seen, Lake Huron und Erie. Der Michigansee bot gute Gelegenheit zu Segelfahrten und da mein Wohnkamerad Nordberg ein vorzüglicher Segler war, bot sich gute Gelegenheit zu schönen Fahrten, an denen einige andere Finnländer – Gederholm, Heikel und Malia begeistert teilnahmen, waren sie doch von Jugend auf als Seefahrer beschäftigt gewesen. Neben dem Vergnügen durfte aber auch die Arbeit nicht zu kurz kommen. Von einigen Arbeitern wurde ich gebeten, ihnen Unterricht im Zeichnen und Rechnen zu geben. Da habe ich einen kleinen Abendkurs mit ungefähr 10 Leuten eingerichtet, was für mich einen kleinen Zuschuß zu meinem Gehalt bedeutete und als Sparpfennig zurückgelegt werden konnte. Kleine Sondereinnahmen kamen auch durch Ausarbeiten von Sondermaschinen für Spezialzwecke. Zum Riffeln von Hartgußwalzen entwarf ich eine Sondermaschine, für die ich ein Patent bekam, daß mir allerdings nur Unkosten verursachte abgesehen von den Erfahrungen, die ich dabei machte und so einen gewissen Wert darstellten. Für den Entwurf einer Maschine zum Entwollen von Baumwollsamen erhielt ich von dem Erfinder 50 Dollar, die mir für Reisezwecke sehr zu Statten kamen. Einer meiner Zeichen-Schüler – er hieß Fürste – war nach seiner Heimat Guttenberg am Mississipi etwas oberhalb von St. Louis zurückgekehrt, wo sein Vater eine kleine mechanische Werkstatt betrieb. Es war eine gute süddeutsche Familie und der Ort war von deutschen Auswanderern gegründet worden. Von dieser Familie erhielt ich eine Einladung zu ihnen zukommen. Hocherfreut sagte ich zu, denn ich hatte in beinahe zwei Jahren keine Ferien gehabt. Von Milwaukee war das eine ziemlich lange Reise, die nicht in einemTag erledigt werden konnte. Von Milwaukee ging es mit der Bahn nach LaCrosse am Mississipi und dann per Dampfer oder Bahn denStrom entlang bis Guttenberg. Unterwegs hatte ich allerlei Erlebnisse. Erst kam ich im Zug neben eine rechtarmselige junge Einwanderin aus Deutschland zu sitzen, die ihrem Mann nachfolgte in den weiten Westen. Dann kam ich zu einem älteren Mann zu sitzen, der in der Nähe von La Crosse eine Mühle mit Wasserbetrieb besaß. Mit ihm kam ich in ein Gespräch über Müllerei, der ich bei Allis etwas nahe gerückt war. In der Annahme, daß ich ihm für seine Mühle gute Ratschläge geben könnte lud er mich ein, bei ihm die Reise um einen Tag zu unterbrechen, was ich annahm. Von La Crosse ging die Fahrt per Fuhrwerk in ein Seitental mit einem dem Mississippi zufließenden Bach nach Marmon Kuhle, wo die Mühle stand. Ich konnte ihm nicht viel helfen, verlebte aber in der großen Familie einen netten Tag. Dann wurde ich nach La Crosse dem Landeplatz des Dampfers befördert und hörte dort, daß das Schiff voraussichtlich gegen Morgen eintreffen würde. Ich musste deshalb in dem am Hafen liegenden Hotel übernachten. Man versprach, mich rechtzeitig zu wecken. Als ich aber gegen 6 Uhr aufweckte, wurde mir der Bescheid von dem Schiff noch keine Nachricht gekommen sei. Ich hatte also Zeit. Bei La Crosse eine ältere, wie der Name sagt - französische- Ansiedlung hat der Strom eine Breite von acht englischen Meilen mit mehreren Inseln, die zum Teil bewaldet sind. Viele Kähne am Ufer lassen darauf schließen, daß fleißig Rudersport getrieben wird. Und da ich offenbar noch genügend Zeit bis zur Ankunft des Dampfers übrig hatte, nahm ich ein Boot und steuerte nach der nächsten Insel. Dort wurde ich durchlebhaftes Schweine-grunzen begrüßt, so daß ich schnell wieder Abschied nahm und die Fahrt nach einer stromaufwärts liegenden Insel fortsetzte. Dortwar es recht romantisch. Sie war von Wasserläufen durchzogen, in denen sich große Fische tummelten. Es war ein entzückend schöner Morgen aber dasSchiff war, als ich wieder an Land kam noch immer nicht gemeldet. Ich setzte dann mit der Eisenbahn auf dem rechten Ufer des Stroms die Reise bis Guttenberg fort. Unterwegs wurden auf einer Station von Händlern kleine Fläschchen mit Achatbrocken angeboten. Ich kaufte ein solches und habe eslange Jahre aufbewahrt, was wohl meinen Kindern noch in Erinnerung sein wird. Die Ufer des Stroms sind in dieser Gegend ziemlich steil in mäßiger Höhe, aber bedeutend näher zusammen als bei La Crosse. So kam ich gegen Abend dieses Reisetages glücklich in Guttenberg an und wurde bei Fam. Fürste herzlich aufgenommen. Das Städtchen macht einen gutdeutschen Eindruck, beinahe wie ein großes deutsches Dorf. Fast jedes Haus hat eine Kuh, die aufeine Gemeinschaftsweide getrieben wird und abends ganz allein zum Stall zum Melken kommt (ob das auch heute noch so ist?) Der Staat Iowa ist oder war ein ausgesprochener Agrarstaat mit vorwiegend deutscher Bevölkerung, die infolge der großen Fruchtbarkeit des Bodens und ihrer Tüchtigkeit zu beträchtlichem Wohlstand gekommen ist. Eine Generation zurück liegend lebten dort noch Indianerstämme, deren Grabstätten noch in großem Umfang vorhanden waren. Auf den Feldern wurde vorwiegend Getreide angebaut. Es war gerade Erntezeit. Bei einemSpaziergang über die Felder konnten wir einmal beobachten, wie ein Hund eine Klapperschlange wie eine Peitsche hin und her schlug. Er hatte sie im Genick gefaßt, so daß sie ihm keinen Schaden tun konnte und brachte sie so um. Es ist also doch ziemlich gefährlich in der Landwirtschaft. Sehr interessant ist auch der Strom. Bei Guttenberg liegen hier eine Reihe Inseln, auf denen sich wieder größere Wasserflächen befinden. Diese sind bevölkert von Schildkröten, die ihre Köpfchen über der Wasserfläche zeigen. Kommt man näher verschwinden sie spurlos. So eine Bootsfahrt ist sehr interessant. Die Boote hat man am Ufer in kleine Bootshäuser untergebracht, aus denen das Boot mit schwachem Gefälle ins Wasser stößt. Es kann dabei aber vorkommen, daß man selbst mit dem Boot in den Strom rutscht, wie es mir einmal passiert ist. Zum Glück hat man aber das Boot noch halten können, sonst wäre ich den ganzen Mississippi hinunter bis nach New Orleans geschwemmt worden und hätte meine Erinnerungen gar nicht aufzeichnen können. Die Fam. Fürste hat mich sehr freundlich aufgenommen und mirmancheköstliche Stunden und Erlebnisse hinterlassen. In dem großenGarten wurde viel Obst und besonders Johannisbeeren geerntet, ausdenen Weingekeltert wurde, dersehr kräftig war und gut mundete. Da konnte mansich ein kleines Räuschchen antrinken. Als Dank dafür habeich die Konstruktion einer kleinen Futterschneidmaschine hinterlassen,und dannging es wieder nach Milwaukee zurück.Inzwischen hatte ich auf Umwegen über die Heimat genauereNachrichtenvon dem Wohnort meines amerikanischen Vetters – den Dr. Reinerhalten,so daß ich mich mit der Familie in Verbindung setzen konnte.Ich bekam eine Einladung zum Besuch und da ich michernstlich mit derFahrt nach der Heimat beschäftigte, konnte ich den Abstecherzu der Rein-Familie auf mein Reiseprogramm setzen, zumal es am Wege inunmittelbarer Nähe von New York lag. So traf ich meineVorbereitungen zum Abschied, obwohl mir die Trennung von den guten Freunden,von derschönen Stadt, dem herrlichen See und dem guten MilwaukeeBier rechtschwer fiel. Ich packte meine Siebensachen, meine Bücher undZeichnungen,eine kleine von mir entworfene und mit meinen Freunden unterzu Hilfenahme einer kleinen Drehbank gebauten Riffelmaschine fürMüllereiwalzen,in eine solide Kiste die ich nach New York spedierte. Das Übrige kam ineinen Handkoffer und holte von der Sparkasse mein kleinesVermögen. Es wurde mir nicht leicht zu scheiden, denn ich hatte vielGutes genossenin der schönen Stadt mit den guten Freunden. MisterReynolds, der erstetechnische Direktor gab mir ein sehr gutes Zeugnis, das ichgut aufgehobenhabe, bis es durch die amerikanischen Bombenwürfe auf meinWohnhausvernichtet wurde.
Meine Rückreise führte mich über den Michigan See nach
Detroit und von da
auf der kanandischen Seite des Eriesees zum Niagarafall, wo
ich in der Nähe
des imposanten Falles übernachtete. Allerdings nicht
ungestört, denn selbst
das Bett wurde stark mit dem ganzen Haus erschüttert. Die
steil abfallenden
Wassermassen sind in zwei Hälften geteilt – einen
amerikanischen und einen
kanadischen. Unter dem Letzteren kann man zwischen Wassersturz und Felsen
ziemlich trockenen Fußes spazieren gehen, was ich auch getan
habe.
Ganz großartig! d.h. der Fall.
Unterhalb des Falles führt eine Eisenbahnbrücke über die
tiefe Schlucht
des Stromes nach der amerikanischen Seite. Der Zug brachte
mich über
Albang am Hudsonfluß nach New York und von da zu den
Verwandten
in New Jersy am Hudsonstrom, der dort den Hafen von New York
bildet.
In der Familie des Doktor Rein wurde ich herzlich
aufgenommen. Es
waren außer den Eltern 6 Kinder (4 Mädchen und 2 Knaben-
wenn ich
mich recht erinnere) – da und außerdem ein Bräutigam der ältesten Tochter,
da gab es viel Leben. Mit der Zweitältesten konnte ich einen
Ausflug nach
New York und einmal nach einem am Meer liegenden sehr
bekannten
Seebad unternehmen. Es war recht interessant. Außerdem
benutzte ich den
Aufenthalt zu einigen technischen Exkursionen: zu der
bekannten und bedeutenden Fabrik von Sellers in Philadelphia und einigen
anderen wichtigen
Firmen, wo ich überall gut aufgenommen wurde.
Für die Rückreise benutzte ich einen Dampfer der State Linie,
der mich nach
Glasgow brachte. Glasgow gab mir die Möglichkeit eine
Studienfahrt durch
ganz England zu unternehmen und zwar unter ermäßigten
Fahrtkosten, denn
ich bekam eine Fahrkarte bis London kostenlos.
Für die Seereise nahm ich aber nicht wieder Zwischendeck
sondern 2. Klasse.
So nahm ich denn Abschied von der [gastfreien] Familie Rein,
von dem wunderbaren Land Amerika wo ich viel gelernt und manch Gutes
erfahren hatte.
Auch kirchlich hatte ich manch gute Anregungen durch den Pastor der Methodisten Gemeinde Mr. Stein in Milwaukee erhalten, was ich
nicht unerwähnt
lassen möchte.
Auf dem Schiff bekam ich eine gute Einzelkabine und konnte
mich einem
netten jungen Mann anschließen, der aus Australien kam und
schon viel von der
Welt gesehen hatte. Die Fahrt war etwas stürmisch, aber wir
kamen wohlbehalten in Glasgow an.
Meine große Kiste wurde von dort direkt nach Chemnitz
spediert wo sie auch
wohlbehalten angekommen ist.
Vor meiner Abreise von Milwaukee hatte ich auf mein
Anerbieten als Konstrukteur bei der Sächsischen Maschinenfabrik in Chemnitz die
Zusage einer Anstellung erhalten. Meine Existenz erschien also für die
nächste Zukunft gesichert.
Es brauchte mir nicht bange zu sein.
Mit meinem Reisegefährten blieb ich einige Tage in dem
vorzüglichen ersten
Hotel Glasgows und besah mir alle Sehenswürdigkeiten dieser
großen verkehrsreichen Stadt.
Dann fuhr ich mit meiner billigen Fahrkarte nach Manchester,
um einige große
Werkzeugmaschinenfabriken zu besuchen. Bei der größten, Witworth,
hatte ich
kein Glück, desto mehr aber in der zweiten, die als
Spezialwerk einen vorzüglichen Ruf hatte und
mir recht gute Anregungen bot.
Dann reiste ich südwärts weiter bis Stamford zu einem
Familienbesuch.
Meine Schweizer Cousine Mina war dort zum Studium der
englischen
Sprache bei einem Arzt in Pension, was sie mir mitgeteilt
hatte. Da hatte
ich eine gute Gelegenheit zu einem Zusammentreffen, das
gerade auf einen
Sonntag fiel. Sonntags lässt sich in England besonders in
kleinen Städten
nicht viel unternehmen und so blieb es denn bei einer
gemütlichen Unterhaltung in meinem Hotel.
Dann fuhr ich nach London und verbrachte dort einige Tage
mit der Besichtigung von Sehenswürdigkeiten, Bildergalerien und dem
Tower. Dann
fuhr ich mit der Bahn nach Dover und hatte dabei ein
interessantes Erlebnis.
Ich saß in meinem Abteil allein, es war sehr schwach
beleuchtet. Über meinem
Platz war ein kleines Kästchen, aus dem eine Schnur
herausbaumelte. Ich griff
nach dieser Schnur, die sofort nachgab und ein Stück heraus
kam.
Gleich darauf hielt der Zug. Leute mit Fackeln liefen den
Zug entlang und
kamen an mein Abteil. Haben Sie den Zug gestoppt. So wurde
gefragt.
Nein war meine Antwort. Doch sagte man und zeigte auf das
Kästchen.
Der Beweis war also gebracht. Ja, sagte ich, wenn dieses
Kästchen den Halt
verursachte, allerdings. Der Zug setzte sich wieder in
Bewegung und der
Zugführer blieb bei mir im Abteil. Er war ganz artig, fragte
mich woher ich
käme. Ich konnte ihm klarmachen, daß die Bedeutung des
Kästchens bei der
schlechten Beleuchtung nicht zu erkennen sei. Ich käme aus
Amerika, wo in
den Zügen ähnliche Kästchen als Reklame in den Zügen benutzt
würden.
Auch müßte er zugeben, daß der Zweck bei der schlechten
Beleuchtung
nicht erkennbar sei. Er erkundigte sich dann nach meiner
Adresse, weil ich
dafür verantwortlich sei und wir wahrscheinlich den Anschluß
an das Schiff
nach Ostende nicht erreichen würden. Ich sagte, daß es mir
unmöglich sei, eine
Adresse zu geben, weil ich auf einer Rundtour durch Europa
sei.
Inzwischen waren wir Dover nahe gekommen. Der Zug hielt und
der Zugführer
frug mich, wohin ich reisen wollte. Nach Ostende. Dort liegt
der Dampfer nach
Ostende. Ich gab ihm meine Visitenkarte mit meiner Adresse
Milwaukee, Wiskonsin
und dann verabschiedete er sich ganz freundlich. Und ich war
sehr froh!
Denn die Sache hätte recht kostspielig werden können.
Von Dover brachte mich der Dampfer über den Kanal nach
Ostende in angenehmer ruhiger Nachtfahrt, die leider sehr frühzeitig (gegen
4 Uhr früh) endete.
Es war ein schöner Morgen, etwas bewegt nahm ich Abschied
vom Meer.
Damals waren noch keine großartigen Luxusbauten für die
Kurgäste am Strand,
sondern nur einfache Fischerhütten.
Mit dem ersten Frühzug in der Richtung Brüssel wurde die
Reise fortgesetzt.
In Brüssel kurzer Aufenthalt und dann per Schnellzug nach
Köln. So kam ich
wohlbehalten nach meinem lieben Vaterland und zwar zeitig
genug, um in dem
bekannten großen Restaurant „Bierstall“ einen Abendschoppen
zu trinken. Das
war für mich eine Sensation, denn so eine gemütliche sich
beinahe drängende
Gesellschaft rauchend und schwatzend in aller Gemütlichkeit
war mir ganz
fremd geworden.
Auch drüben gab es große Kneipen aber man hielt sich in
ihnen nur flüchtig auf.
Es gab dort sogar Freelunch (kostenloses Frühstück), aber
man hielt sich nicht lange
auf. Diese gemütliche Biersitzung war mir fremd geworden.
Doch erfreute sie mich sehr.
Am nächsten Morgen fuhr ich mit dem Rheindampfer von Köln
stromaufwärts und genoß den Rhein mit seinen herrlichen Ufern,
den
schmucken Dörfern und Städten, den Weinbergen und dem
lebhaften
Verkehr auf dem Strom in vollen Zügen.
In Rüdesheim machte ich Station und fuhr am anderen Tag bis
Höchst,
um in dem nahe liegenden Dörfchen Nied die Familie Rein zu besuchen
und die Grüße der amerikanischen Verwandten auszurichten. Es
waren
sehr liebe Menschen mit denen ich mich schnell befreundete.
Ich blieb dort zwei Tage und spazierte mit dem Vater am Main
entlang,
wo er die Fischerei gepachtet hatte, wie auch seine
Vorfahren getan
hatten. Zur Erinnerung an den Besuch habe ich den kleinen
Bauernhof
skizziert. Das Bildchen ist gewiß vervielfältigt noch im
Besitz bei einigen
meiner Kinder.
Von hier fuhr ich noch nicht heimwärts, sondern nach der
Schweiz, um
meinem Onkel Bericht zu erstatten und für meine Cusine Mina
Grüße
von einem jungen Herrn zu bestellen, der in Jverdon in der
Westschweiz
wohnte. Diese Grüße konnte ich aber nicht bestellen, weil
sich der junge
Mann verduftet hatte.
So kam ich wieder nach Oerlikon, wo ich zunächst eingehend
Bericht
erstatten konnte. In diesem Jahr war in Zürich große
Landes-Ausstellung,
die sich eines starken Besuches erfreute. Mein Onkel
erzählte mir, daß
auch Herr Schiess aus Düsseldorf zum Besuch der Ausstellung
da gewesen
sei und ihn besucht hätte. Er hätte sich bei ihm nach mir
erkundigt, worauf
er ihm gesagt hätte, daß ich jetzt zurück käme. Er könnte
mich jetzt vielleicht haben. Da ich aber schon von der Sächsischen
Maschinenfabrik
engagiert war, konnte zunächst nichts daraus werden.
Nach einigen Ruhetagen ging es dann heimwärts zum
Elternhaus, wo ich
meine Lieben gesund und freudigst bewegt antraf. Es war ein
köstliches
Ereignis, wieder ins Elternhaus zu kommen und seine Lieben
in guter
Gesundheit anzutreffen.
Meine große Kiste war inzwischen wohlbehalten von Glasgow
eingetroffen.
Dann ging die Tätigkeit bei der Sächsischen Maschinenfabrik
los, doch
zeigte man eine gewisse Engherzigkeit in Bemessung meines
Monatsgehaltes.
Zunächst bekam mir aber die Heimatluft und Elternsorge ganz
gut. Ich fühlte
mich recht wohl.
Der große Verwandtenkreis gab viel Anregungen, auch meine Tätigkeit als
Konstrukteur konnte mich und meine Vorgesetzten befriedigen.
Ich wurde
Mitglied des Technischen Vereins und hatte Gelegenheit zu
einem längeren
Vortrag über amerikanische Verhältnisse auf technischem
Gebiete, soweit
sie den Maschinenbau betreffen. Ich konnte soweit einigermaßen zufrieden
sein, doch schienen mir die Zukunftsaussichten hier nicht
besonders günstig.
Ich setzte mich deshalb mit Herrn Schiess in Verbindung und
dieser lud mich
zu einer Besprechung
im Hotel Sedan in Leipzig ein.
Wir wurden einig, sehr zum Vorteil für meine Zukunft,
zunächst aber nicht
zur Freude meiner lieben Eltern. 1885 im Frühjahr trat ich bei Ernst Schiess als Konstrukteur
für Werkzeugmaschinen ein.
In der Schützenstraße bei Familie Berndt, die ein Geschäft
mit Schmirgelleinen betrieb, mietete ich zwei Zimmer, ein großes Wohn- und
ein kleines
Schlafzimmer. Beide waren recht behaglich eingerichtet und
nicht weit von
der Fabrik und der Innenstadt gelegen. In einem nahe
gelegenen kleinen aber
guten Hotel abbonierte ich für Mittag und Abendbrot und fand
da auch angenehme Gesellschaft. So war auch in dieser Beziehung für mein
Unterkommen
gut gesorgt. Mit den Herren im Büro kam ich schnell ins
Einvernehmen und
wurde Mitglied des großen Vereins Deutscher Ingenieure, dem
ich nun über
60 Jahre als zweitältestes Mitglied noch angehöre. Die
Fabrik von Schiess
hatte einen guten Ruf in dem niederrheinischen
Industriebezirk nicht nur,
sondern auch in dem übrigen Deutschland und darüber hinaus
in Belgien,
Holland und Österreich. Vorwiegend waren es Maschinen für die
Stahlwerke für das Eisenbahnwesen und ähnliche Bedürfnisse – vielfach auch
Neukonstruktionen. Einmal kam Herr Schiess zu mir und erzählte mir, er
hätte die Bekanntschaft eines Majors der Pulverfabrik Hanau gemacht.
Dieser hätte geklagt,
daß sie in großen Nöten sei wegen der Herstellung des neuen
rauchlosen Pulvers.
Ob es nicht möglich sei, daß er eine praktische Maschine zum Zerschneiden der
ausgewalzten breiten
Materialstreifen liefern könnte. Für uns war die Aufgabe
neu und fiel aus dem Rahmen unserer Fabrikation. Der Major
bat um einen Besuch, den Schiess zusagte. Er hatte aber die Absicht einer
Ablehnung in höflicher Form, wie er mir erklärte. Ich möchte in Hanau bei
einer gelegentlichen
Reise nach Frankfurt einmal vorsprechen.
Das geschah und in Hanau sah ich in der Pulverfabrik eine
Gruppe von Frauen,
die mit der Schere die großen ausgewalzten Platten in kleine
Plättchen von 2 mm
Seitenlänge zerschneiden. Das jammerte mich. Es wurden mir
Muster des neuen
französischen rauchlosen Pulvers gezeigt, die anscheinend
maschinell, aber doch
nicht gleichmäßig geschnitten waren.
Es packte mich ein gewisses Ehrgefühl, daß wir hinter den
Franzosen nicht
zurückbleiben dürften. Nach Düsseldorf zurückgekehrt entwarf
ich eine kleine
Probemaschine, die gleich zweckmäßig arbeitete und
quadratische Blättchen
von 2 mm Seitenlänge aus Streifen von 50 mm Breite lieferte.
Die Lösung gefiel, doch wollte man nun statt Streifen von 50 mm Breite,
solche von 200 mm
Breite haben und verarbeiten. Auch das gelang mir mit einem
guten Erfolg.
Daraus entwickelte sich ein ganz glänzendes Geschäft für
unsere Firma durch
große Lieferungen an Hanau und an andere deutsche
Pulverfabriken.
Herr Schiess gab mir
als Ausdruck seines Vertrauens Prokura, das heißt,
Zeichnungsvollmacht auch für alle kaufmännischen
Angelegenheiten.
Damit vergrößerte sich auch mein Wirkungskreis auch in
kaufmännischen
Angelegenheiten. Die Aufsichtsarbeiten auf dem technischen
Büro musste ich
mit dem älteren technischen Prokuristen – einem Herrn Habersang
teilen.
Doch entstand daraus manche Unstimmigkeit. Es kam so weit,
daß Herr
Schiess die Pensionierung für Herrn H. ins Auge fasste. Ich
erklärte, daß
ich dann lieber gehen würde. Ich möchte mir nicht vorwerfen
lassen, daß ich
einen älteren Beamten aus seiner Stelle verdrängt hätte. Im Laufe der Zeit war ich wiederholt in Chemnitz besonders
zu Weihnachten
gewesen. Auch mein Bruder hatte mich als Soldat in
Düsseldorf besucht.
Meine Wohnung hatte ich gegen sehr behagliche Zimmer in
einem schön gelegenen Privathaus einer älteren sehr vermögenden Dame
getauscht. Es ging mir
recht gut.
In diesem Zustand kamen mir nach menschlichem Ermessen auch
Heimatgedanken. Meine Damenbekanntschaften in Düsseldorf waren sehr
bescheiden
und neigten nicht zu einer engeren Bindung. Auch meine
Schweizer Cousine,
die mich auf ihrer Heimreise von England nach der Heimat in
Düsseldorf besucht hatte, kam nicht in Betracht. Aber in der Heimat in
unserem engeren
Familienkreis kam ein liebes Mädchen in Betracht, mit der ich
die Reise durchs
Leben wohl wagen konnte, vorausgesetzt natürlich, daß sie
mich wollte.
Und das war aber noch nicht sicher.
Zu Pfingsten 1887 nahm ich mir Urlaub nach Chemnitz,
besuchte dort auch
die Verwandten, Onkels und Tanten und auch die Familie Uhlmann,
die mit der
Familie Karl Rein, dem Gürtlermeister verschwägert war. In dieser Familie
begrüßte ich natürlich auch die beiden Töchter Clara und
Hedwig. Die Ältere
Clara hatte mir schon längst gut gefallen und hoffte, daß
ich ihr noch näher kommen könnte. Nun fügte es sich, daß in der Familie Rein und Uhlmann nach
dem Pfingstfeiertag
nach dem Ausflugsdörfchen Lichtenwalde bei Chemnitz
unternommen wurde,
an dem auch ich teilnahm. Es war eine recht fröhliche
Gesellschaft.
Im Freien wurden nette Spiele unternommen und es fügte sich,
daß auch ich in
einem Pfänderspiel mit verbundenen Augen in einen Kreis der
Mitspielenden
gestellt wurde und raten musste, wen ich ergriffen hatte.
War es nun Fügung des Schicksals oder eine leise Hilfeleistung der lustigen
Gesellschaft, ich rief „Clärchen“ und die Richtige und
Erwünschte getroffen!
Zwei Tage darauf holte ich mir das Jawort von Clärchen und
von den Eltern.
Wer war glücklicher als ich?
Wohl keiner!
Auch meine lieben Eltern waren hocherfreut und so konnten wir
eine schöne
und auch gemütliche Verlobung feiern.
Es wurde vereinbart, daß mein zukünftiger Schwiegervater mit
Clärchen meiner
Braut mich bald in
Düsseldorf besuchen würde. Das geschah auch.
Meine Gäste konnten in dem großen Hause meiner Wirtin
wohnen. Ich bestellte
eine Equipage zum Abholen von der Bahn und um die Freude
voll zu machen,
fuhr ich dem über Elberfeld kommenden Zug entgegen. Das war
aber ein großer
Reinfall, denn der Schnellzug hielt nicht an der Station, wo
ich wartete.
Ich telegraphierte zunächst an den Bahnhofsvorsteher in
Düsseldorf, er möchte
die beiden Fahrgäste nach dem am Bahnhof wartenden Wagen
bringen lassen.
Ich selbst war natürlich ganz unglücklich, umso mehr als
kein Zug um diese
Zeit nach Düsseldorf fuhr. Nur in der Richtung Köln konnte
ich fahren und
unterwegs in einen nach Düsseldorf fahrenden Zug umsteigen.
So mußten meine Gäste bis gegen 9 Uhr Abends in meiner
Wohnung auf mich
warten und hatten von dem schönen Abendbrot, das für uns
bereit stand,
keinen Bissen angerührt.
Ich selbst war natürlich ganz zerknirscht. Es wurde mir aber
meine Dummheit
verziehen und das Versäumte nachgeholt. Am nächsten
Vormittag stellte ich
meinen Besuch Herrn Schiess vor und unternahmen einen langen
Stadtbummel.
Meine liebe Braut war von ihrer zukünftigen Heimat entzückt,
was mich auch
erfreute.
Dann unternahmen wir einen Sonntagsausflug nach Königswinter
und dem
Drachenfall. Dann kam die Heimfahrt meines Besuchs, an der
ich bis Gotha
teilnahm. Das war eine recht köstliche Reise. Wir besuchten Eisenach
und die
Wartburg und unternahmen von dort eine längere Fußtour, die
über Ruhla, dem
Inselberg und Friedrichsroda nach Gotha führte.
Wir waren vom guten Wetter begünstigt und konnten so die
Schönheiten der
Natur in herzlicher Gemeinschaft genießen.
In Gotha trennten sich unsere Wege, meine liebe Braut mit
Vater nahmen Abschied
und ich fuhr nach Düsseldorf zurück in der Hoffnung, daß
mich eine Geschäftsreise recht bald nach Chemnitz führte.
So fuhr ich wieder zurück zu meiner Arbeit in Düsseldorf und
meine Braut mit
Vater, um die Vorarbeiten des neuen einzurichtenden
Haushalts zu beginnen.
Selbstverständlich fuhr ich für die Weihnachtsfeiertage nach
Chemnitz, wo ich
köstliche Tage mit den Meinen und besonders mit meiner
lieben Clara verlebte.
Es wurden natürlich Zukunftspläne besprochen und die
Hochzeit auf die zweite
Jahreshälfte festgesetzt. Schnell gingen die
Weihnachtsfeiertage und meine
Urlaubszeit vorüber.
Der Ernst des Lebens trat mit neuen Aufgaben, wie solche die
Gründung eines
neuen Haushaltes jeden Beteiligten bringt, an mich heran. Da
gab es zwischen Düsseldorf und Chemnitz manche wichtige Verhandlungen
insbesondere wegen
der Wohnungsfrage. Es konnte aber alles gut erledigt werden.
In der Schützenstraße, der gleichen meiner ersten Junggesellenwohnung,
mietete ich eine nette
erste Etage. Vater Uhlmann kam mit meiner Braut nach
Düsseldorf und bestellte
in dem ersten Möbelgeschäft die Einrichtung unserer Wohnung.
Das waren für
mich wieder einige köstliche Tage.
Und dann kam auch der 16. August, der für die Hochzeit
festgesetzte
Tag heran. Schon von Düsseldorf aus bestellte ich in dem
schönen an
der Elbe gelegenen Hotel Bellevue ein Zimmer, damit wir in
Dresden,
der ersten Station auf
unserer gemeinsamen Lebensreise, nicht lange
auf die Zimmersuche gehen mussten.
Und so war alles bereit!
Die Trauung fand in der kleinen Johanniskirche statt und
verlief sehr
feierlich im Beisein der Angehörigen, der Familien
Rein-Uhlmann.
Es schloß ein Festmahl in dem alten bekannten Gasthaus „Zur
Linde“
an – eine fröhliche Feier mit allerlei köstlichen
Überraschungen für das
junge Paar und Heiterkeit für die ganze
Hochzeitsgesellschaft.
Gegen 8 Uhr abends wurde das junge Paar entlassen, um wie es
hieß,
nach Dresden zu fahren, was wohl zutraf.
Wir wollen nunmehr die Neuvermählten nicht weiter belästigen
oder
stören. Es heißt nur sie seien im Hotel Bellevue glücklich
angekommen
und in Sicherheit gebracht worden.
Am anderen Vormittag soll man sie schon auf dem Markt
gesehen haben,
wo der junge Mann seiner jungen Frau ein Sträußchen
verehrte.
Wir verbrachten zwei Tage in dem schönen Dresden mit
Besichtigung
allerlei Sehenswürdigkeiten, Gemäldegalerie, des
zoologischen Gartens
und so weiter. Dann fuhren wir nach Berlin und buchten ein
Zimmer im
Zentralhotel. Wir blieben einige Tage mit der Besichtigung einiger Sehenswürdigkeiten hier und reisten dann nach dem Norden nach
Stettin.
Von da nach der schönen Insel Rügen nach Saßnitz, wo wir uns
von den
Strapazen der Reise recht ausruhen konnten.
Einmal kam mein junges Frauchen beim Baden in der See in
Schwierigkeiten.
Sie war an einer das Bad abgrenzenden Leine hängend, von einer zurückflutenden Welle nach der offenen See zuflutenden Welle mit
hinausgezogen
worden, konnte sich aber noch krampfhaft festhalten. Mit
Mühe konnte sie
sich aber an der Leine zurückarbeiten und
war gerettet!
Das war ein rechter Schreck!
Im Übrigen waren aber die Tage mit Ausflügen nach
Stubbenkammer und
in das Innere der Insel nach Bergen und Hiddensee recht
vergnüglich.
Dann fuhren wir über Stralsund – Rostock nach Kiel, wo ich
einen Besuch bei
der Deutschen Torpedo-Werkstatt geplant hatte.
Am Tag nach unserer Ankunft wurden gerade große
Marinemanöver abgehalten. Wir fuhren mit dem Dampfboot nach Friedrichsort, der
großen
Torpedowerkstatt, wo mehrere von mir konstruierte Maschinen
standen
und deren Betriebsführer mir gut bekannt waren, hinaus. Ich konnte in
das Werk kommen, mußte aber mein liebes Frauchen beim
Pförtner zurücklassen. Während ich nun bei der Besprechung mit dem Werkstatt-Chef
war,
kam der Hauptangriff der Flotte auf Friedrichsort mit mächtigem
Artilleriefeuer. Die Wände des Pförtnerhauses wackelten und
mein
liebes Frauchen kam in Todesangst. Es war ganz schrecklich
sagte sie
und es war sehr glaublich. So war unsere Hochzeitsreise bald
beendigt.
Von Kiel fuhren wir nach Hamburg, wo wir in dem Hotel
Petersburg
an der Alster übernachteten. Blieben noch einen Tag zur
Besichtigung
des Hafens und anderen Sehenswürdigkeiten dort und kamen
Tags
darauf wohlbehalten in Düsseldorf an.
Mit der Droschke Nr. 1 hielten wir Einzug in unserer Wohnung
in der
Schützenstraße. Sie war schon ziemlich wohnlich
eingerichtet, eine
ältere Frau kam zu Hilfe und bald konnten wir den ersten
Kaffee trinken.
Als ich meine Junggesellenwohnung zum Abholen meiner
Siebensachen
aufsuchte, erfuhr ich zu meinem lebhaften Bedauern, dass die
84jährige
Dame inzwischen gestorben sei. Sollte meine Verheiratung ihr
das Herz
gebrochen haben?
Bei Schiess war inzwischen alles seinen gewohnten Weg weitergegangen.
Ich nahm meine Konstruktionsarbeiten mit frischer Kraft
wieder auf und
war glücklich. So verging annähernd ein Jahr voller Eheglück
in froher
Erwartung des Kommenden und das war ein ganz prächtiges
Kerlchen,
den wir zu Ehren des Uhlmann-Großvaters Friedrich tauften.
Er entwickelte sich normal unter der vorsorglichen Pflege
der Mutter
und als mein Bruder in Chemnitz Hochzeit hatte, konnte Clara
es wagen
an der Hochzeit teilzunehmen, das heißt nach Chemnitz zu
reisen.
Um aber wegen des Jungen ganz sicher zu sein, hielten wir es
für ratsam
erst den Arzt zu fragen, da der Kleine etwas hustete. Clara
hatte noch
einen eiligen Gang zu
besorgen und in ihrer Abwesenheit kam der
Unglücksmensch.
Der Kleine lag im Korb und trank seine Flasche. Der Arzt ließ
den Jungen
herausheben nahm die Flasche weg und führte zur Untersuchung
des
Halses einen Löffel in den Rachen. Da brach der Kleine die
getrunkene
Milch heraus und erstickte.
So war schweres Leid in unsere junge Ehe gekommen.
Selbstverständlich
unterblieb die Reise meiner lieben Clara nach der Heimat.
Unsere Spaziergänge richteten sich nach dem kleinen Hügel auf dem
Düsseldorfer Friedhof. Geschäftlich bereiteten sich nun andere wichtige Dinge vor.
Das Zusammenarbeiten mit dem mir gleichgestellten Herrn Habersang machte
mir keine
Freude. Da fand ich in der Zeitschrift des Vereins Deutscher
Ingenieure ein
Inserat, in dem zwecks Gründung einer
Werkzeugmaschinenfabrik ein
technischer Teilhaber gesucht wurde
Ich gab meine Adresse auf und erhielt eine Einladung zur
Besprechung
von einem Herrn Droop, Sekretär der Handelskammer in
Bielefeld.
Der Herr gefiel mir bei einer ersten Besprechung in Düsseldorf recht
gut. Er hatte von seinem Onkel, einem Herrn Erlslöh in
Barmen die
Zusage zu einer finanziellen Unterstützung bei der Gründung
oder
Beteiligung an einem gewerblichen Unternehmen erhalten. Er
hatte es
schon versucht mit Verhandlungen bei der
Werkzeugmaschinenfabrik
Gildemeister in Bielefeld, doch hatten sich die
Besprechungen zerschlagen. Es war aber bei Herrn Droop eine gewisse Vorliebe
für
diesen Maschinenbau zurück geblieben, weil dieses Fach ihm
besonders
aussichtsreich erschien.
Wir besprachen die Sache ernstlich. Es wurde ein Kapital von
150 000
Mark in Aussicht genommen, wovon Herr Erlslöh 120 000 Mark
hergab und wir beide je 15 000 Mark.
Da ich selbst keine nennenswerten Mittel besaß, wandte ich
mich an
meinen verehrten Schwiegervater, der uns auch entsprechend
unterstützen
wollte.
Dann kam die Frage, wo bestehen die besten Aussichten für
den Bau?
Soll er in Düsseldorf oder anderswo errichtet werden?
Ich hielt Bielefeld für sehr geeignet, zunächst deshalb,
weil der eine Teilhaber in Bielefeld
bodenständig war, also gute Beziehungen zu den
Behörden und auch zu den industriellen Unternehmungen hatte.
Außerdem liegt Bielefeld sehr zentral – nahe dem
niederrheinischen Industriebezirk, nahe den großen Werften und auch zu dem
übrigen Deutschland. Es liegt auch günstig als Station an der
Haupteisenbahnlinie von
Norddeutschland und ferner hat Bielefeld als Sitz einer
bedeutenden
Maschinenindustrie eine gut geschulte Arbeiterschaft. Alle
diese Vorzüge
sprachen für den Ort,
der als zukünftiger Wohnsitz für uns ausersehen
wurde. Und so geschah es. Ein Vertrag wurde geschlossen und meine
Stellung
gekündigt. Merkwürdiger Weise fiel diese Kündigung bei Schiess
zusammen
mit der Kündigung seitens unseres technischen Mitprokuristen
Herrn
Habersang, der sich zusammen mit einem Herrn Zinsen in
Düsseldorf auch
selbständig machte. Die beiden Herren gründeten die Firma
Habersang &
Zinsen.
Ich war nun mit den Vorarbeiten beschäftigt, als Herr Droop
erkrankte.
Der Onkel Erlslöh sah darin eine Gefahr für das Unternehmen
und besonders für das einzuschießende Kapital. Er schlug
Rückgängigmachung
des Vertrages vor. Das war natürlich nur möglich wenn mein
Austritt aus
dem Werke Schiess unterblieb. Das war aber nicht mehr
möglich, denn
es war schon ein Herr aus der Maschinenfabrik Oerlikon
engagiert. So blieb der Vertrag bestehen und Herr Droop wurde wieder gesund.
Wir gingen zunächst auf die Suche nach einem geeigneten
Grundstück.
Von verschiedenen Angeboten gefiel mir ein in der Nähe des Güterbahnhofes gelegener Kartoffelacker, der die Möglichkeit eines
späteren Bahnanschlusses bot. Warum dieses Grundstück seitens der älteren
Industrie
noch nicht in Anspruch genommen worden war, erschien mir
etwas
seltsam, doch habe ich mir darüber den Kopf nicht
zerbrochen. Es wurde
mir aber später, als wir am Bauen waren klar. Das Gelände
hatte ein sehr
starkes Gefälle. Der obere war in Schienenhöhe, der untere
Teil lag in
gleich bleibender Neigung ca. 4 m tiefer, so daß stark
aufgefüllt werden
mußte.
Diese Schwierigkeit war wohl der Grund, daß die Bielefelder
Industrie
an diesem Grundstück vorüber gegangen war. Was dem Einen ein
Uhl
ist, das ist dem anderen ein Nachtigall. Und für uns wurde
das Grundstück
trotz der Schwierigkeit eine Nachtigall.
1890 war das Gründungsjahr unserer Fabrik. Ich entwarf nun
einen Plan
und wir übertrugen die Ausführung einem jungen tüchtigen
Architekten und den Aufbau einem zuverlässigen Maurermeister und
Zimmerermeister.
Der Bau ging flott voran.
Inzwischen war ich und meine liebe Frau auf die
Wohnungssuche gegangen.
Am Obernthorwall fanden wir in dem Hause Blanke (Ofensetzer)
eine schöne
erste Etage und fühlten uns bald heimisch. Mit der Familie Droop
kamen wir bald in herzliche Beziehungen. Ich wurde zunächst von der Einrichtung der Fabrik stark in
Anspruch genommen.
Wir vesandten [Zirkulare], in denen wir uns besonders für
den Bau von
Sondermaschinen empfahlen.
Darauf erhielten wir eine Anfrage nach einem Sonderbohrwerk
mit drei
Arbeitsspindeln für Kanäle in Filterplatten, die in der
Zuckerindustrie gebraucht
wurden. Man hatte eine besondere Bauart in Vorschlag
gebracht, die mir aber
nicht zusagte. Trotzdem entwarf ich einen Plan wie
gewünscht, doch fügte ich
einen zweiten Entwurf nach meiner Idee bei.
Mit diesen beiden Vorschlägen reiste ich nach Sangerhausen
und dort entschied
man sich schnell für
m e i n Projekt.
So erhielt ich den ersten Auftrag, bevor unsere neue Fabrik
betriebsfertig war.
Inzwischen hatten wir einige Hilfskräfte, einen Kaufmann für
die Verwaltung
und einen Techniker für die konstruktiven Arbeiten
engagiert. Das Büro hatten
wir in einem nahe gelegenen Bierrestaurant eingerichtet. Wir
waren mit unserer
Einrichtung gut voran gekommen, hatten auch durch starke
Auffüllungen die
Terrainschwierigkeiten überwunden, indem wir einen Teich
anlegten, der die
Möglichkeit eines Entenstalles bot.
Eines Tages erschien ein Herr Steinbach aus Brügge mit dem
ich schon in
Düsseldorf mehrfach geschäftlich zu tun hatte. Er kam in der
freundlichen Absicht uns den ersten Auftrag zu bringen, und zwar für eine
Maschine zum Stoßen
der Riffel in Kaffeemühlringen. Das war sehr liebenswürdig,
nur war seine Absicht uns den ersten Auftrag zu bringen, durch die
Bestellung von Sangerhausen
vereitelt. Trotzdem war natürlich die Freude groß.
Zur Leitung des Fabrikbetriebes hatte sich mir ein tüchtiger
Dreher von Schiess
empfohlen. Er hieß Weidenmüller. Für ihn war in dem
Fabrikanbau eine Familienwohnung in der ersten Etage vorgesehen. Ende Juli konnten
wir schon die Dampfmaschinen und bald darauf die Arbeitsmaschinen in Betrieb
setzen.
Mit Gottes Hilfe kamen wir gut voran. Am 2. August wurde unsere Erna geboren. Die schwere Wunde,
die der Verlust
unseres Fritzchen uns geschlagen hatte, begann zu heilen.
Zur Taufe hatten wir
Besuch aus dem beiderseitigen Elternhaus.
Wir fühlten uns nun in Bielefeld bald recht heimisch. Ich
wurde Mitglied
der Gesellschaft Eintracht und trat in die Herrenriege der
Turnergemeinde
ein. Der Betrieb erforderte allerlei Reisen für
geschäftliche Verhandlungen
neben den umfangreichen Arbeiten im Konstruktionsbüro. Der Nachfolger in der Leitung des Konstruktionsbüros in
Düsseldorf hat
leider ein recht schlimmes Ende gefunden. Eine von ihm
konstruierte Hebelmaschine entsprach nicht den Wünschen der italienischen
Bestellerin und
Schiess schickte ihn zur Regulierung der Angelegenheit nach
Italien mit
dem Bemerken, daß er entlassen sei, wenn ihm die Regulierung
nicht gelänge.
Auf der Rückreise sprang der Unglückliche in den Rhein +. Mit unseren Lieferungen – Maschinen für besondere Zwecke –
hatten wir
gute Erfolge. Die Produktion stieg und es entstand das
Bedürfnis einer eigenen
Eisengießerei. Das Gelände reichte dafür noch aus und auch
die Mittel konnten
dafür beschafft werden. Unser erster Gießermeister hieß
Ackermann, ein
tüchtiger Fachmann, der uns einige Jahre später von einem
anderen größeren
Werk in Dortmund abspenstig gemacht worden ist. Sein
Nachfolger war
Senftleben, der uns bis an sein Lebensende treu gedient hat
Doch zurück zu unserer Familie!Zu unserer Erna sind noch im Laufe der Jahre weiter Gertrudund Irene gekommen. Mehrfach hatten wir Besuche von unseren Lieben ausChemnitz,die an dem Gedeihen unseres Werkes liebevollen Anteilnahmen.Auch der Todesengel riss in unserer Familie schwere Wunden.Mein Vaterstarb, die Mutter meiner lieben Clara ging von uns.In Chemnitz waren wichtige Veränderungen eingetreten. Dasalte Wohnhausmeiner Eltern wurde abgerissen, um einem großen 4stöckigenWohnhaus mitmehreren Geschäftslokalen Platz zu machen. Es machte sich andem großenfreien Platz vor dem Stadttheater und den gegenüberliegendenGartenanlagensehr vorteilhaft aus.Die Eltern bezogen eine schöne Wohnung in der zweiten Etagemit guterAussicht auf den Theaterplatz. Im Parterre hatte mein Bruderdie Bäckerei,wie er sie zuvor imalten Haus hatte, eingerichtet. Er betrieb darin ein recht gutgehendes Geschäft. Nach dem Tod meines Vaters wurde dieBesitzung verkauft und vom Bruder in Braunsdorf in der Nähe des schöngelegenen Ausflugsortes Lichtenwalde (dem Orte der Grundsteinlegungmeines Eheglückes)ein Landhaus gebaut, zu dem ein großer Garten gehörte.Unsere liebe Mutterzog mit ihm hinaus und blieb dort bis an ihr Lebensende.Der Familie meines Bruders entspross ein Mädchen, das sichsehr vorteilhaftentwickelte. Marie – sie ist ein ganz vortrefflichesFrauchen geworden mit einem Mann, der Lehrer in dortiger Gemeinde war und zweitüchtigen Jungen,die beide den großen Weltkrieg mitgemacht und mit gekämpfthaben.Und außerdem eine Tochter, die sich auch schon einer großenNachkommenschaft erfreut. Sie wohnt mit ihrer Familie in der Nähe vonNordhausen, wo sie einen gut gehenden Betrieb haben.Jetzt sind wir in Sorge um meinen lieben Bruder, der anbedenklichenAlterserscheinungen leidet und von der FamilieHutschenreuter unterFührung von Marie betreut wird. Hoffentlich ändert sich dieErkrankungwieder zur Besserung.Wir schreiben März 1949. Doch zurück zu unserer Arbeit in Bielefeld. Die von unsgebauten Maschinen befriedigten und der Absatz vermehrte sich stetig.1896 konnten wir eine Ausstellung in Kiel beschicken underhielten die goldene Medaille.Auch eine kleine Sonderausstellung in München erbrachte unseineAuszeichnung.Seitens der Provinzialregierung in Minden wurden wir miteinem Besuchbeehrt und erhielten die Königlich Preußische Staatsmedaillein Silber.Auch der Storch hatte uns nicht vergessen. Er brachte unsdie liebe Martha und in einem gewissen Abstand Marianne, die sichrecht gutentwickelten.Ferienwochen wurden wiederholt an der See in Juistverbracht, wo wirgute Erholung und viel Freude genossen.Der zunehmende Absatz unserer Maschinen drängte zurVergrößerungdes Betriebes. Das war nur durch Zukauf von angrenzendenGrundstückenmöglich und erfreulicher Weise konnten wir diese ohne Schwierigkeitenerwerben.Unsere Nachbarn waren eine kleine Feilenhauerei, eine ältereFrau die ein kleines Haus besaß und weiter zurück der Landwirt Brünger.Es waren allestreffliche Menschen, mit denen wir immer gut auskamen.Für die erste Vergrößerung hatten wir schon dadurch gesorgt,daß wir die Front der Werkstatt ca. 14 Meter von der Straße zurückgelegthatten.Es war deshalb möglich eine Großmontagewerkstatt vor dieKleinmontagezu setzen, die mit einem größeren Kran für Lasten bis 20000kgr. Tragkraftausgerüstet wurde. Das erhöhte unsere Leistungsfähigkeitbedeutend.Damit war aber unsere kleine 20pferdige Dampfmaschine, trotzder Aufstellung einer kleinen Hülfsdampfmaschine nichteinverstanden. Sie begannzu versagen. Und so bauten wir ein neues Maschinenhaus füreine 120pferdigeSulzermaschine die so eingerichtet wurde, daß sie durch Einbau eines zweiten Zylinders auf eine Leistung von 200 PS gesteigertwerden konnte.Der erweiterte Fabrikbetrieb gab natürlich auch für diekaufmännische Abteilung viel Arbeit undSorge. Herr Droop hat diese Aufgabe glänzend gelöst,so daß ohne Gefährdung unserer finanziellen Stellunggearbeitet werden konnte.Herr Droop war auf politischem Gebiet sehr regsam. Ergehörte zur freisinnigenPartei und besaß einen großen Bekanntenkreis. Seine Frau,eine sehr liebenswürdige Dame, war körperlich etwas beschränkt durch eineRückratsverkrümmung, die sie aber doch nicht hinderte ihrenHaushaltspflichten vollwertigzu genügen. Wir haben in dem Droopschen Familienkreis manchfrohe Stundeverlebt.Vier Kinder, drei Mädchen Martha, Johanne und Theodora und ein Sohn Hugo waren die Sprösslinge. Ein Versuch denLetzterenfür den Eintritt in die Verwaltung unserer Fabrikvorzubereiten, hatteleider nur ein negatives Resultat. Die zweite TochterJohanne bereitete sich zumLehrerinberuf vor und war zur Ausbildungim Englischenlängere Zeit in einem englischen Pensionat, in der Nähe vonHastings,wo ich sie gelegentlich einer Geschäftsreise nach England aneinemSonntag besuchte. Der Ort hieß St. Leonardo, ein rechtfreundlicherPlatz für Erholungssuchende. Es war im Jahre 1903 wenn ichnicht irre.Ihre Schwester Martha war schon 1898 – 00 in dem gleichen Pensionatgewesen. Die dritte Tochter Thea wurde die Frau desRechtsanwaltesKoch in Bielefeld. Bei der im Jahre 1900 in Paris stattfindenden Weltausstellunghatte Herr Droop Gelegenheit, tatkräftig die Arbeiten derPrämierungskommission mit gutemErfolg zu unterstützen. Wir erhielten die goldene Medaille.Nach längerer Krankheit schloß Herr Droop am 28. Juli 1906die Augen,tief bedauert von seinen Mitarbeitern und ganz besonders vonmir.Sein kaufmännisches Können kam uns in den letzten Jahrenseines Lebens sehr zu Statten bei einer größeren Kapitalbeschaffungzum Zwecke einer Vergrößerung unseres Gießereibetriebes. DieersteGießerei genügte nicht mehr für den Bedarf an Menge undGröße derGroßstücke, es mußte eine Gießerei geschaffen werden, dieallen An-forderungen an einenrationell arbeitenden Betrieb fürGroßstückebis 20000 kgr. entsprach. Da wir einen Baukredit dafürnicht in Anspruch nehmen konnten, schlug Herr Droop eine Anleihe von300000Mark vor, die in Anteile von je 1000 Mark zerlegt, durchunsere Bankauf den Markt gebracht wurde und durch Auslösung zurückgezahlt werden sollte. Diese Anleihe hatte guten Erfolg. Es wurde einemustergültige Anlagegeschaffen, die auch heute noch allen Anforderungenentspricht, soweit sie nicht durch Bombenschäden beeinträchtigt worden ist.Durch regelmäßige Auslösung konnte die Anleihe planmäßigamortisiert werden.Auch die Kapitalanteile der Familie Erlslöh wurden im Laufeder Jahrenach dem Tod des Herrn Droop zurückgezahlt, wie das auch inBezug aufden Kapitalanteil der Familie Droop der Fall war. Das Gedeihen der Fabrik hing natürlich von der Güte unsererLieferungenab. Ein Stab tüchtiger Konstrukteure, die ich mit Rat undTat unterstützte,tüchtige Meister und eine strebsame Arbeiterschaft gaben derFabrik eingutes Fundament. Der Ruf unserer Firma hatte einen gutenKlang im Inlandund Ausland. Zu den goldenen Ausstellungsmedaillen von Kiel,Paris, Düssel-dorf gesellte sich Brüssel im Jahre 1910.Zur Arbeit gehört natürlich auch etwas Erholung. NebenausgedehntenGeschäftsreisen kamen solche zur Erholung, die ich mehrfachmit unsererlieben Mutter unternahm.Gelegentlich der Brüsseler Ausstellung unternahm ich mit ihreinen Abstecher nach London, wo wir mehrere Tage verbrachten. Einesehr schöneReise führte uns nach Finnland. Wir fuhren von Lübeck miteinem Ostseedampfer nach Abo und von da, wo wir unseren Geschäftsvertreterbesuchtennach Helsingfors, wo ich schon früher geschäftlicheAngelegenheiten zu besorgen gehabt hatte. Nach einigen in der schönen Stadtverlebten Tagen gingdie Fahrt nach dem Inneren, nach dem Leimasee in schönerNachtfahrt.In der Nähe blieben wir einige Tage in einer schönen Sommerfrische undkehrten dann gut erholt nach Helsingfors zurück. Ich konnteauf dieser Fahrtmanche Erinnerungen an Erzählung meiner finnischen Freundein Milwaukeewieder aufleben lassen. Auf der Rückreise ging es perDampfer nach Stettinwo wir einen Familienbesuch erledigten.Nahe Verwandte der Familie Wessel, ein Direktor Köster hatteuns eingeladenwenn wir auf der Rückreise Stettin besuchen könnten. Und sohatten wir einenrecht vergnügten Abend in unserem Hotel. Mich erinnert aberdieser Besuchwieder an die Tatsache, daß ich mit meinem Bericht denGeschehnissen inunserer Familie unverantwortlich weit vorausgeeilt bin. Ichhabe vor allemverschwiegen, dass sich unserem engeren Familienkreis nochzwei Kinderangeschlossen hatten. Elisabeth und Cläre. Erstere wurde einSorgenkind, dasie geistig verkümmert war. Nach vielen Mühen im engerenFamilienkreiskamen wir zu der Überzeugung, daß eine besondere Pflege fürsie unbedingtnotwendig wurde. Diese fanden wir bei einer Dame in Coburg,Fräulein Wild,die rührend für sie sorgte. Wir unterstützten sie beim Baueines Eigenheimesmit großem Garten in dem hübschen Dörfchen Niederfullbachbei Coburg.Dort blieb sie bis als ernstliche Störungen inihrem geistigen Befindenauftraten, die eine Überführung nach unserer BielefelderAnstalt Bethel notwendig machten. Sie hat sich dort gut eingelebt und wirdauch jetzt noch vonihrer früheren Pflegerin Frl. Wild in rührenderAnhänglichkeit mit allerleiSpielzeug bedacht. Sie hat sich in die Betheler Verhältnissegut eingelebtund wird besonders von unserer Tochter Martha liebevollbetreut. –Wieder muß ich eine längere Zeitspanne zurückgehen, zum Bau eines Eigenheimes. Auf unsere erste Wohnung am Wall folgte eine sehrschöne 1. Etagean der Bahnhofstraße, die unserer Fabrik bedeutend näherlag.Weil die wachsendeFamilie mit der Zeit zu einer Vergrößerung der Wohnungdrängte, erwarben wir an der Herforder Straße einen Teil dergroßen Besitzungvon Werdigen und bauten uns ein nettes, praktisches Wohnhausunter Aufnahme einer Hypothek von 15000 Mrk. Zu dem Haus gehörte eingroßer Gartenmit schönen Bäumen und Spielplätzen für die Kinder. Es warein schöner Besitz, der im Laufe der Jahre und dem Anwachsen der Familie noch zur Erweiterung drängte. Dies wurdeuns möglich durch Ankauf des Nachbarhauses,zu demauch ein längeres Hinterland gehörte. Der Kaufpreis betrug64000 Mrk.Das Haus wurde mit den dazugehörenden Schneiderwerkstättenabgebrochen und unserem Haus ein Erweiterungsbau angefügt, derdemGanzen einen harmonischen Eindruck gab.In diesem Haus haben wir köstliche Jahre verleben können.Die Kinderwuchsen heran und was wir erlebten, das wissen sie selbst amBesten. In der Fabrik ging es gut voran. Durch wiederholte An- undNeubautenwurde unsere Leistungsfähigkeit stetig vergrößert. Auch fürRüstungszwecke gab es allerlei interessante Aufgaben. Den erstenWeltkrieg erlebten wir mit großen Sorgen, waren aber am Schluß keinererheblichen Beeinträchtigung unterworfen.Es war sogar möglich mit meiner lieben Clara eineNordlandsfahrtmit dem erstmalig nach Friedensschluß in Fahrt gesetztenDampferzu unternehmen, das war eine ganz köstliche Fahrt. VonHamburgdirekt an die norwegische Küste und dann hinauf in dieFjorde.Bergen, Trondheim, Narvik und weiter hinauf bis zum NordkapzurMitternachtssonne. Eine sehr angenehme Reisegesellschaftmachte die Fahrt zu einem köstlichen Erlebnis besonders auch fürunsereliebe Mutter. Mit dem ersten Weltkrieg verbinden sich viele trübeErinnerungenauch in unserer Familie. Unser Schwiegersohn Böckelmann derMannunserer ältesten Tochter starb den Heldentod. Er war ein prächtigertüchtiger Mensch von uns allen sehr geschätzt.Dieser Verlust traf auch das von ihm vom Vater übernommeneGeschäft – eine Uhrengroßhandlung sehr hart. Als Helfer in derNotsprang mein zweiter Schwiegersohn Seidel, ein imBankgeschäft erfahrener Kaufmann ein, doch gelang es ihm in Folge derschwierigenNachkriegsverhältnisse nicht, das Geschäft auf der früherenHöhe zuhalten. In Abwesenheit seiner Frau – unserer Tochter Irene,die mituns nach der Schweiz zur Erholung gefahren war, nahm er sichdasLeben. Seine geschäftlichen Operationen führten auch fürmich zuerheblichen Verlusten.Der Ehe entsprossen zwei Töchter Irene und Gertrud zweistattlicheMädchen, von denen erstere in Münster studierte. Gertrud istin Mainz mit einem Tierarzt vermählt und glücklich! Unser erster Enkel aus Ernas Ehe mußte auch sein Leben im Kriegelassen. In Russland starb er den Heldentod. Der zweite SohnHans Ottogeriet in Russland als Offizier in Gefangenschaft und wartetanscheinendan der sibirischen Grenze vergeblich auf seine Entlassungund auch wirmit seiner ganzen Familie.Auch der dritte Sohn Paul starb in Russland den Heldentod.So hattemeine Tochter Erna die beiden Söhne die ihr in der zweitenEhe mitdem kriegsblinden zweiten Mann Werner Seydel beschert waren,durchden Krieg verloren und im Jahre 1948 wurde sie zum zweitenMaleWitwe – ein hartes Los, das sie tapfer erträgt. Ihr schönesWohnhaus inder Lessingstraße ist den Bombenangriffen auf Bielefeldnicht zumOpfer gefallen.An einer schönen Seereise konnte sie in Gemeinschaft mitihren Schwestern Irene und Cläre unter meiner Führung teilnehmen,die sehr genussreich verlief. Das Schiff Milwaukee des Lloyd fuhr vonTravemünde direkt nach Helsingfors, blieb dort einige Tage,diezu netten Stadtbummeln in der mir wohlbekannten Stadtbenutztwurden. Dann ging die Fahrt nach Stockholm, wo mitUnterstützungunseres Vertreters nette Stadtbummel und mit Motorboot einAusflug nach dem schönen Seebad Saltseebaden unternommen wurde.Es waren recht genussreiche Tage in dem schönen Stockholm,dievon herrlichem Wetter begünstigt wurden.Das nächste Ziel war Kopenhagen, ebenfalls sehr interessant,auchfür mich, da ich Erinnerungen an eine Reise mit meinerlieben Frauauffrischen konnte. Eine ganz besondere Überraschung veranlasste der Angriff einesSeeräubers, der es auf meine Tochter Cläre abgesehen hatte.Er warin seinem Segelboot m e r k w ü r d i g e r w e i s e zu gleicher Zeitwie unser Schiff im Hafen eingefahren und hatte mit GeschickeinenAngriff auf uns ausgeführt, dem wir nicht entgehen konnten. Wir mussten zum bösen Spiel aber gute Miene machen undverlebten mit dem Seeräuber recht nette Stunden mit allerlei Genüssen(Hummer, Magenpartie undKaffeetafel).Besuch des bekannten Vergnügungs-Parks Tivoli etc. etc.Als unser Schiff von der Hafenmauer abstieß, lichtete auchder Seeräuber die Anker zur Rückkehr in die heimischen Gewässer,Plänefür seine und für eine andere Reisegefährtin schmiedend.Unser Schiff brachte uns zunächst nach Norwegens HauptstadtOslo.Was wir hier an Sehenswürdigkeiten genießen konnten, mögendie Teilnehmenden den Nichtteilnehmern berichten. Die wollenja auch manches erlebt haben und so besser berichten könnenalsich.Das gilt auch für die Fortsetzung der Fahrt in den Fjordendernorwegischen Küste bis hinauf nach Narvik, von wo die Rückfahrt nach Hamburg angetreten wurde. Es war ganz köstlichundwird allen Teilnehmern als ein Hochgenuß im Gedächtnisbleiben.Für mich war die Reise eine Wiederholung derReiseerlebnisse, die ich mit meiner lieben Frau vor mehreren Jahren auf dergroßenNordlandsfahrt gehabt hatte und die mir auch heute nochfrischim Gedächtnis geblieben sind. Wie herrlich war das Reisenmitmeiner lieben Clara!Mit wie viel frohen Erinnerungen ist unser gemeinsamerLebensweg verknüpft!Wie sorgte sie für das Wohl der ganzen Familie, wie leitetesie den großen Haushalt!Es ging alles wie am Schnürchen, ohne große Aufregung.Sie pflegte gute Beziehungen in unserem Bekanntenkreis und genoß allgemeine Wertschätzung. Wir waren ihr in innigerLiebezugetan. Auch gesundheitlich brauchte sie nicht zu klagen.Und doch nahm sie ganz unerwartet von uns Abschied. EinleichtesUnwohlsein erforderte die Behandlung durch einen Arzt. UnserHaus-arzt war verreist und so kam sein Stellvertreter. Derglaubte durch eineEinspritzung das Übel beseitigen zu können. Zu unseremEntsetzenwachte sie nichtwieder auf und entschlief in den Armen ihrer Kinder, die sich mit unserer Ältesten Erna in dieserschweren Stunde an ihremBett versammelt hatten. Das war am 29. November 1930.Ein schwerer Schlag für das häusliche Glück!Die gute Frau, die sorgende Mutter ist uns allenunvergesslich geblieben.Sie ruht nun als erste in dem großen Familienbegräbnis aufdem Sennefriedhof.Die Lücke in der Führung unseres Haushaltes wurde nun vonder Schwestermeiner Frau HedwigUhlmann ausgefüllt, soweit ihr dies möglich war.Sie hat uns brav und mit Hingebung geholfen und wurde vonuns allen sehr geschätzt. Wir sind ihr zu großem Dank verpflichtet, wir werden ihreHilfe nie vergessen. Ein besonderes Kapitel betrifft die Erwerbung einer größerenländlichenBesitzung im Lipperland in dem Dörfchen Hiddensen beiBarntrup. Die Entwicklung unserer Fabrik und insbesondere das guteVerhältniszwischen Leitung und Belegschaft hatten eine besondereAnerkennungmeinerseits für die Beamten und die Arbeiterschaftzweckmäßig erscheinen lassen.Dies sollte durch die Einrichtung eines Ferienheimesgeschehen. Es wurdemir ein ca. 50 Hektar großes Gut in herrlicher Lage amWinterberg angeboten, das ich zum Preis von 124000 Mark für die Fabrikerwarb.Es war landwirtschaftlich etwas herunter gewirtschaftet, daaber mehr dieschöne Lage für die Erholung als der geschäftliche Erfolgmaßgebendwar, konnte man über diesen Mangel hinweg sehen.So übergab ich die Besitzung einem Landwirt als Verwalterund opfertefür allerlei Verbesserungen erhebliche Beträge.Inzwischen hatte sich das Verhältnis zwischen Leitung derFabrik undder Belegschaft unter den Nachwirkungen des erstenWeltkriegs ver-schlimmert, so dass der Plan der Sommerfrische für dieArbeiter nichtmehr als günstig erschien.Inzwischen hatte unsere Tochter Marianne die Ehe mit dem Sohn desBranntweinbrenners Schlichte in Steinhagen geschlossen.Dieser hatte eine gute Schulung als Landwirt bei seinemOnkel Dreesbeimdieke durchgemacht und bewarb sich als Leiter meinesHofes.Im Laufe der Zeit ging die Besitzung in die Verwaltung durchdas Ehepaar über, ohne das wesentliche Abzahlungen aus denErträgnissen desHofes geleistet wurden. Die endgültige Regelung wirdvoraussichtlicherst im Erbfall erfolgen können. Hoffentlich wird alles mitallseitigerBefriedigung erledigt, was ich in Sonderheit auch für dasjunge Paar,dem ältesten Sohn Ernst Wilhelm mit seiner jungen tüchtigenFrau vonHerzen wünsche.Auf dem Hofe sind außer Ernst Wilhelm noch drei strammeJungens geboren. Reinhard, der als Kaufmann ausgebildet ist, Günter,der denGärtnerberuf mit Erfolg betreibt, und Ulrich, ein sehrintelligentesBürschchen, das auch verspricht, ein tüchtiger Mensch zu werden.Viel versprechend sind auch die beiden Töchter meinerTochter Gertrud, die nach Trennung ihrer Ehe mit dem Apotheker Wesselin Wagenfeld nachSalzuflen ging: Traute und Inge. Erstere als Brauteines vielversprechenden jungen Kaufmanns Werner Bürdel.Gegenwärtig verdient sie ihr Brot im Dienste für dieenglische Be-satzung in Herford und erweitert so sehr vorteilhaft ihreSprachkenntnisse. Die Menge des Lichtes, das sich bis jetzt in meinenErinnerungenverbreitete, führt mich nun in den Schatten.Der erste Weltkrieg hat Deutschland schwere Wundengeschlagen.Industrie und Handel wurden zu Boden geworfen, das blühendeKaiserreich wurde eine blutende Republik. DieSozialdemokratiewar nicht im Stande wieder aufzubauen, was vernichtet wordenwar.Und im tiefsten Tiefstand erschien ein Mann, dem es gelang,dasVertrauen der leidenden Bevölkerung zu erringen: HITLEREin Frontsoldat im Kriege, ein Österreicher, hat er sich inMüncheneinige Anhänger gesammelt und durch seine Rednergabe einegrößere Anhängerschaft erworben.Auf meiner Geschäftsreise fügte es der Zufall, dass ich ihnaufder Fahrt von München nach der Schweiz im Zug begegnete undin Immenstadt ihn begrüßen und guten Erfolg wünschen konnte.Er erschien uns damals als rettender Engel.Es gelang ihm auch, sich das Vertrauen maßgebender KreisedesWirtschaftslebens zu erwerben und dadurch eine führendeStellungauch auf politischem Gebiete zu gewinnen, die zu einemWiederauf-blühen von Handel und Gewerbe führte.Was alles geschah, ist uns ja wohlbekannt, so daß sich eineDarstellung der Ereignisse erübrigt. Der Reichstag wurdeabgeschafftund durch die nationalistische Regierung ersetzt.Ein besonderer Verdienst Hitlers muß in der Herstellung vonverkehrsführenden Autostraßen erblickt werden. Nachteilig dagegendie großen Aufwendungen für die nationalistische Partei. DasAuslanderblickt darin eine Schädigung ihrer Interessen undbegegnete Deutschland mit Misstrauen, das zum Kriege und Deutschland zumUntergangführte.Auch unsere Fabrik fiel dabei zum Opfer. Das in JahrenmühevollerArbeit aufgebaute Werk fiel am 30. September 1944 denFeindbombenzum Opfer und in zwei weiteren Bombenangriffen wurde auchderRest größtenteils vernichtet.Gleichzeitig wurde auch unser schönes Wohnhaus völlig demErdbodengleich gemacht und ein bei uns zu Besuch anwesendes FräuleinJohannaWelli aus Köln erschlagen. Sie ruht auf unserer Grabstelleam Sennefriedhof.Ein weiterer schwerer Verlust traf unsere Familie durch denTodmeines Schwiegersohns Ernst Otto Rein. So hat uns derunseligeKrieg schwere Wunden geschlagen, deren Heilung leider nichtmöglich erscheint.Meine Tochter Martha, die junge Witwe, sieht ihre Aufgabe inderBetreuung ihres als Pflegesohn aufgenommenen Fritz Rein(Anmerkung von Martin Rein: Das war mein Vater.) liebevoll erfüllt und wir wünschen von Herzen guten Erfolg. Wir haben zu dem jungen Mann volles Vertrauen als tüchtigenLandwirt.Wir haben unseren Werkstattbetrieb in den früher alsModellraumbenutzten Räumen unter der Gießerei notdürftig wieder aufgenommen und vorwiegend für Reparaturarbeiten an beschädigtenfremden Maschinen benutzt. Nebenher konnten in diesem Teilund in darüber liegenden Räumen Maschinen für dieBearbeitunggrößerer Maschinenteile in Betrieb gesetzt werden, so daß esmöglich wurde, halbfertige Maschinen gebrauchsfertig zu machen.Die Belegschaft hat sich allmählich auf über 100 Mannerhöht.Die Gießerei konnte wieder in Betrieb genommen werden.Daneben hat mein Schwiegersohn Jörg Adam als Architekt seinevolleKraft zur Wiederherstellung der völlig zerstörtenFabrikgebäudemit gutem Erfolg eingesetzt, so daß die völligeWiederherstellungim Verlauf von zwei Jahren zu erwarten ist.Wir danken ihm herzlichst für seine mühevolle Arbeit.
Zeitungsartikel vom 21.11.1948 zum 90. Geburtstag:
1873 begann er seine Ausbildung zum Schlosser in Meerane bei Zwickau und besuchte dann die Meisterschule in Chemnitz. Nachdem er als technischer Zeichner in Oerlikon (Schweiz) gearbeitet hatte, begab er sich als Passagier 2. Klasse in die U.S.A., wo er in Milwaukee für 2 Jahre u. a. eingewanderten Deutschen Unterricht im technischen Zeichnen gab. 1885 wurde er Konstrukteur bei Schiess in Düsseldorf, 1890 gründete er zusammen mit Theodor Droop die Firma Droop & Rein. Den Aufmarsch der NSDAP in seinem Werk untersagte er und durfte deswegen zeitweilig die Fabrik nicht mehr betreten. Ohne ihn wurden Lohnaufträge für die Rüstungstechnik hereingenommen, im Wesentlichen das Bohren der Flansche von Panzertürmen. (Nach dem Krieg rosteten die übrigen Türme jahrelang im Außengelände vor sich hin, bis man sie in der eigenen Gießerei recycled hat.) Am 30.9.1944 stürzte sein Privathaus nach einem Treffer ein, die Hausangestellte befand sich noch auf der Kellertreppe und kam ums Leben. Er selbst wurde im Keller verschüttet und konnte sich und andere wieder freigraben. Die Britten genehmigten ihm schliesslich, mit dem Wiederaufbau des Werkes zu beginnen, denn er hatte immer noch nicht die Nase voll.
Brief vom 10.12.1910 von Gustav R. Hülsberg an Ernst Rein von der Messe in Brüssel über seinen husarenmässigen Einsatz zur Mitbewerberanalyse:
Bruxelles, den 10.12.1910: Sehr geehrter Herr Rein, erlaube mich Ihnen mitzuteilen, dass es mir gestern nach ca. ½ stündigem Reden gelungen ist, die kleine Broschüre von André Citroën über Pfeilräder und Pfeilkegelräder zu bekommen; ich stelle sie Ihnen auf Wunsch selbstverständlich gern zur Verfügung & würde in diesem Falle bitten, dieselbe nach Einsicht zu retournieren. Da ich mich speziell für Zahnräderfabrikation sehr interessiere, stellte ich mich an den Stand von Citroën , betrachtete den Gang der Räder & ersuchte hierauf C. persönlich, die Räder zum Stillstand zu bringen. Ich bewunderte die vollkommen incorrecte Zahnform seiner gefrästen Pfeilkegelräder & die dadurch verursachte ungleichmässige Zahnanlage & bat um einen Catalog; er gab mir ein Blatt; seine kleine Broschüre zu erhalten, machte Schwierigkeiten, ich bekam sie jedoch, nachdem ich ihm meine Karte mit Firma gegeben & erklärt hatte, dass ich häufig Walzen zu construieren hätte. Desweiteren bat ich um Abbildung seiner Maschinen nebst Preisangabe. Er erwiderte, er verkaufe nur Räder, die Maschinen seien sein Geschäftsgeheimnis. Nachdem ich nun alles hatte, was ich unter den gegebenen Umständen bekommen konnte, konnte ich es mir nicht verkneifen, ihn etwas aufzuziehen. Er meinte, in Deutschland könne niemand Pfeilräder fräsen. Ich erwiderte, ich erinnere mich gestern bei einer deutschen Firma, ich glaubte es wäre eine Bielefelder, den Namen wüsste ich aber nicht mehr, engrenages à chevron taillés, an denen keine Nacharbeit von Hand erforderlich war, gesehen zu haben. Er fiel mir gleich ins Wort:"Das war wohl D&R." Ich bestätigte die Möglichkeit. Nun wollte er sich anderen Besuchern zuwenden, da liess ich ihn seine Räder nochmals stillsetzen & explicierte ihm, wie uncorrect die Zahnform seiner gefrästen Kegelräder [so: (Rechteck) statt so: (Keil)] & wie schlecht infolgedessen, wie man ja sehen könnte, wenn man Augen hätte, die Zahnanlage wäre & dass daher seine gefräs-
ten Räder keinen Vorzug gegenüber roh gegossenen hätten, ausser dass sie teurer wären. Er war ziemlich ungehalten & meinte, was die Zahnform anbelange, so mache das nichts aus, setzte aber seine Räder schleunigst wieder in Leerlauf, damit die herumstehenden (einige englische Ingenieure) nicht sehen sollten, um was sich meine Worte handelten. C. hat an 3 Stellen ausgestellt: 1) Internationale Maschinenhalle in der Reihe, in der die Humphrey Pumpe ist, gegenüber Thiry. 2) In der Section Française schräg hinter der Pariser Filiale von Bliss. 3) in Colonies Françaises eine Räderübersetzung 50:1. Ich habe die Londoner Adresse von C. & bin gern bereit, dort Offerte einzuholen & Ihnen dieselbe zu übersenden, wenn Sie mir die erforderlichen Abmessungen angeben. Mein Buch über Werkzeugmaschinen von "Hülle" habe ich, meinem Versprechen gemäss, durch den Knecht von A. Schwarze, Quelle, neulich in Ihrer Privatwohnung abgeben lassen & hoffe ich, dass Sie dasselbe erhalten & unter "verbesserte Kurbelgetriebe" das Ellipsenrad im Eingriff mit einem Stirnrad gefunden haben. Ich wollte mir letzten Donnerstag erlauben, mich von Ihnen zu verabschieden, erfuhr aber auf meinen telephonischen Anruf zu meinem Bedauern, dass Sie verreist wären & habe infolgedessen meinen Besuch unterlassen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir gelegentlich Ihren grünen Catalog mit den Abbildungen T4, T5, T10, T11, T12 übersenden würden. Heute abend fahre ich über Ostende nach London. Ich erlaube mir, Ihnen meine dortige Adresse mitzuteilen; dieselbe ist: c. o. Fireproof Doors, Ltd. 46 King William St. London E.C. Mit bestem Gruss Hochachtungsvoll Gust. R. Hülsberg
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Mein Vater Friedrich Rein, geb. Waneczek, adoptiertes Kind von Ernst Rein´s 5. Tochter Martha, während der Ausbildung zum Maschinenschlosser ca. 1950.